Hungriger

1. Beim Hungrigen muss man nicht Brot kaufen.

Böhm.: U hladového nejdražší chléb. (Čelakovsky, 178.)

Poln.: U głodnego najdrožszy chleb. (Čelakovsky, 178.)


2. Dem Hungrigen hilft keine Predigt.Reinsberg III, 81; Lohrengel, I, 130.

Böhm.: Hlad se nedá slovy utišiti. – Hladovité břicho nedá se slovy ani pĕknou řecí spokojiti. (Čelakovsky, 188.)

Poln.: Glodnego žołądka bajką niezabawić, racyą nieodbyć. (Čelakovsky, 188.)


3. Dem Hungrigen ist harr' ein hartes Wort. Simrock, 4349; Körte, 3057.

Der Franzose sagt von einer langen Zeit des Wartens: Lang, wie ein Tag ohne Brot. Der Magen muss vor allem andern befriedigt, d.h. unser Bestehen gesichert sein, bevor wir für irgendetwas anderes Sinn haben. Man sagt daher in der Herzegowina: Alles ist Mutter, aber Brot ist Nahrung. In Oberschlesien: Nöthig ist Brot und Himmel. Die Letten sagen: Der Lahme vergisst das Hinken, wenn er Brot zu holen hat. Die Hindus: Fragst du den Hungrigen, wie viel zwei mal zwei ist, so antwortet er: vier Brotlaibe. (Reinsberg III, 85.)

Dän.: At hungre og vente giør en utaalmodig. – Hungrig mand er ond at stille. (Prov. dan., 314.)

Frz.: Long, comme un jour sans pain. (Körte, 3057.)


4. Dem Hungrigen ist nicht gut lang predigen. Egenolff, 66b; Eyering, I, 374; Gruter, I, 12; III, 15; Petri, II, 74; Lehmann, II, 77, 50; Schottel, 1142b; Seybold, 73; Gaal, 943; Sutor, 152; Blum, 594; Bücking, 47; Simrock, 5098; Körte, 3058; Braun, I, 1574; Reinsberg III, 81.

Es wäre mindestens unzeitig, einen Hungrigen durch lange Vorträge aufhalten; daher sind auch lange Gebete vor Tische am unrechten Orte, denn sie bleiben ohne Andacht, sowie Predigten, welche eine Esszeit überschreiten.

Holl.: Den hongrigen is het niet goed lang te preken. (Harrebomée, I, 324.)

Lat.: Famelicus non est interpellandus. (Buchler, 119; Binder I, 517; II, 1093; Seybold, 173.) – Fames et mora bilem in nasum conciunt. (Binder I, 519; II, 1095.) – Latrante stomacho omnis mora bilem movet. (Binder I, 853; II, 1634; Buchler, 121; Seybold, 273.) – Molestus interpellator venter. – Venter caret auribus.


[922] 5. Der Hungrige fragt nicht nach der Rechnung.

Böhm.: Hlad a žízen příročí žadného nezná. (Čelakovsky, 188.)


6. Der Hungrige fürchtet den Stock nicht.Reinsberg III, 87.

Die Osmanen sagen: Der Hungrige springt sogar ins Feuer. (Schlechta, 10.)


7. Der Hungrige schlägt sich um eine Fliege an der Wand.

Böhm.: Hladoví se i o mouchu svadí. (Čelakovsky, 191.)

Poln.: Głodnych i mucha powadzí. (Čelakovsky, 191.)


8. Die Hungrigen schlaffen für jhr essen.Eyering, I, 697.


9. Ein Hungriger erzählt beim ersten Gericht nicht viel.Sutor, 129.


10. Ein Hungriger isst seine Aepfel ungeschält.

»Schon Cato soll behauptet haben, dass nichts schwerer zu überzeugen sei, als ein leerer Bauch.« (Welt und Zeit, IV, 7.)

11. Ein Hungriger wird nicht satt, wenn man ihm auch Braten verspricht.


12. Einem Hungrigen ist kein Brot zu schwarz.

Lat.: Parvo fames constat, magno fastidium.


13. Einem Hungrigen muss man nicht in den Weg laufen.

Der Hunger macht den Zorn heftiger, weshalb beim Plautus jemand einen sehr Zornigen fragt, wie lange er schon nicht gegessen habe. Auch die Osmanen sagen: Der Hungrige zankt, mit wem es sei. (Schlechta, 14.)


14. Einem Hungrigen muss man nicht vom Fasten predigen.

Böhm.: Kaž se lačnému postiti, a sytému sedláku modliti. (Čelakovsky, 327.)


15. Einem Hungrigen schmeckt alles Brot (wohl).Binder II, 1585.

Die Russen: Der Hungrige sieht am Brot den Schimmel nicht.

Böhm.: Hladovému i ovesný chléb chutná. – Lačnému všecko k chuti. – Lačný i tĕsto sní. (Čelakovsky, 189.)

It.: A chi è affamato, ogni cibo è grato. (Pazzaglia, 4.)

Lat.: Feles esuriunt, dum panis crustula rodunt. (Binder I, 529.)

Span.: A hambre no hay mal pan. (Čelakovsky, 189.)


16. Einem hungrigen trewmet wol, dass er esse; wenn er aber erwacht, so ist seine Seel leer.Petri, II, 176.

Dän.: Den hungrige drømmer at han æder, den tørstige at han drikker. (Prov. dan., 314.)


17. Einem Hungrigen vergeht der Tanz. (S. Essen, Subst. 35.) – Binder II, 1727.

Die Finnen: Der Hungrige schläft nicht, der Traurige lacht nicht. (Bertram, 41.)

Böhm.: Hladový neboji se kyje. (Čelakovsky, 189.)

Poln.: Głodny kija się niebojí. (Čelakovsky, 189.)


18. Für den Hungrigen ist's immer Mittag. Reinsberg III, 83.


19. Hungrige entzweit auch eine Mücke.


20. Hungrige vnd krancke fragen nit nach Bulschafft.Petri, II, 386.

Böhm.: Kde hladno, tu chladno. (Čelakovsky, 242.)


21. Wer einen Hungrigen zum Gefährten hat, dessen Reisesack ist bald geleert.

Die Osmanen sagen: Befreunde dich nicht mit dem Hungrigen; sagt er auch: ich esse nicht, er füllt sich dennoch den Bauch. (Schlechta, 11.)


*22. Dem Hungrigen muss man nicht von hohen Dingen vorreden.

Er will essen, und Brot und Käse haben mehr Interesse für ihn als Kunst und Wissenschaft.

Böhm.: Hladovému chléb na mysli. (Čelakovsky, 188.)

Poln.: Głodnemu chleb na myśli. (Čelakovsky, 188.)


[Zusätze und Ergänzungen]

23. Dem Hungrigen träumt von Brot, dem Durstigen von Wasser.


24. Einem Hungrigen ist trocken Brot das beste Gebratene.Wirth, II, 207.


25. Einen Hungrigen muss man nicht fragen, ob er gern Weissbrot esse.

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 5. Leipzig 1880, Sp. 1458.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon