Anscheinen

[355] Anscheinen, verb. irreg. S. Scheinen. Es ist:

I. Ein Activum, an etwas scheinen, den Schein von sich an etwas gehen lassen, bescheinen. Die Sonne schien uns an. Er ist nicht werth, daß die Sonne ihn anscheinet.

II. Ein Neutrum, welches das Hülfswort haben zu sich nimmt, für das einfache scheinen. 1) Das Ansehen haben, Merkmahle eines Daseyns oder eines künftigen Erfolges von sich geben, wovon aber im Hochdeutschen nur das Participium der gegenwärtigen Zeit, anscheinend üblich ist. Bey anscheinender Gefahr. Wider den anscheinenden Krieg. Hätte man wohl geglaubt, daß er mit so vieler anscheinenden Hoffnung für sein Vaterland fechten sollte? Raben. In den übrigen Modis ist es im Hochdeutschen ungewöhnlich, wenn gleich Hermes sagt: da der Krieg so sehr wüthet, und keine Hoffnung besserer Zeiten anscheinet. 2) Für scheinen, im Gegensatze des Seyns, wo aber auch nur das Participium anscheinend für scheinbar eingeführet ist. Eine anscheinende Bescheidenheit, Unmöglichkeit u.s.f.

Anm. Da an in beyden Bedeutungen des Neutrius die Oberdeutsche Verlängerung ist, so kommt selbst das Participium anscheinend mehr in der gerichtlichen, als in der edlen Schreibart vor. In Oberdeutschland ist anscheinen in beyden Bedeutungen von einem uneingeschränkten Gebrauche. Ja man gebraucht daselbst sogar das Participium der vergangenen Zeit angeschienen, obgleich die Neutra, welche haben zum Hülfsworte annehmen, dergleichen gemeiniglich nicht verstatten.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 355.
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