Erbarmen

[1855] Erbarmen, verb. reg. Barmherzigkeit empfinden, und diese Empfindung an den Tag legen. Es ist in einer doppelten Gestalt üblich. 1) Als ein Reciprocum, mit der zweyten Endung der Sache. Sich jemandes erbarmen. Weß ich mich erbarme, deß erbarme ich mich, 2 Mos. 33, 19. Gott erbarme dich unser!


Ach, sprach er, ach, erbarmt euch mein!

Gell.


Ingleichen mit dem Vorworte über. Erbarmen sie sich doch über mich. Der Herr wird erbarmen über seine Knechte, 5 Mos. 32, 36. 2) Als ein Impersonale, mit der vierten Endung der Person und der ersten der Sache, für jammern. Es möchte einen Stein in der Erde erbarmen, im gemeinen Leben.


Und jeden Stein erbarmt mein ungewisser Tritt,

Günth.


Der Himmel ist gerecht und ihn erbarmt Orest,

Schleg.


Indessen ist doch diese Wortfügung in der guten Schreibart der Hochdeutschen selten. Im Oberdeutschen gebraucht man es auch mit der zweyten Endung der Sache. Mich erbarmet dieses Elenden.


Was gilts, nun wird dichs erst der frommen Treu erbarmen?

Günth.


Daher die Erbarmung, S. hernach besonders; ingleichen das Erbarmen, plur. car. der hohe Grad des Mitleidens bey dem Elende anderer. Nun ist alles Erbarmen aus. Er wurde ohne alles Erbarmen niedergemacht.

Anm. Bey dem Ulphilas lautet dieses Zeitwort arman, bey dem Ottfried irbarmen, im Schwed. barma, im Angels. feormian, im Nieders. verbarmen, im Holländ. und alten Nieders. ontfermen, entfermen, fermen. Die Impersonal-Form ist den alten Oberdeutschen Schriftstellern vorzüglich geläufig. Laz sie thih ouh irbarmen, Ottfr. Thaz ire leid sie irbarme, ebend. Es erbarmet mih, das si alle iehen, Reinmar der Alte. Frowe Venus las erbarmen dih, Herz. Joh. von Brabant. Von der Abstammung dieses Wortes S. Barmherzig. Der große Haufe in Meißen gebraucht das einfache barmen für jämmerlich thun, wehklagen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1855.
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