Gähnen

[388] Gähnen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert, und von derjenigen unwillkührlichen Aufsperrung des Mundes gebraucht wird, welche eine Wirkung der Schläfrigkeit und langen Weile ist, und von der allzu langsamen Bewegung des Blutes durch die Lunge und übrigen Blutgefäße herrühret. Wenn einer gähnet, so gähnet der andere nach, wenn nehmlich sein Körper auf ähnliche Art leidet.


Der, wenn er sich einmahl ins Trauerspiel verirrt,

Beym Anfang voll Verdruß schon nach dem Ende gähnet,

Gieseke.


sich aus langer Weile gähnend nach dem Ende sehnet.

Anm. Dieses Wort lautet im Oberd gienen, gaunen, gangen, im Österr. gameyen, in Baiern gienmaulen, gaumalzen, in Nieders. janen, hojanen, gleichsam hoch gähnen, ingleichen hojappen, im Angels. geonan, im Engl. to yawn, im Schwed. gina, im Wend. sjam, ich gähne, alles in der Hochdeutschen Bedeutung. Es bedeutet eigentlich aufsperren, weit öffnen. Si gineton gagen mir, sie sperreten das Maul gegen mich auf, Notk. Das Erdreich gynet auf von Hitz, birstet, Pict. Im Nieders. heißt janen auch gaffen; etwas anjanen, bejanen, angaffen, begaffen. Im Wallisischen bedeutet Gyn und im Dän. Gaue den Gaumen, S. Gaum. Auch das Griech. χαινειν gehöret hierher. Übrigens ist gähnen das Intensivum von dem noch im Isländ. befindlichen Zeitworte gia, öffnen, aufsperren, Lat. hiare, Arab. גהי apertus fuit, Hebr. גה amplitudo. S. Gaffen, welches gleichfalls hierher gehöret, ingleichen Gienmuschel. Viele Hochdeutschen schreiben und sprechen dieses Wort nach dem Muster der Niedersachsen jähnen, welches aber so wohl wider die Abstammung, als auch wider die Hochdeutsche Aussprache ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 388.
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