Genie, das

[564] Das Genīe, (sprich Schenīe, zweysylbig) des -s, (sprich Schenīes, dreysylbig) plur. die -s, (sprich Schenies, zweysylbig,) das in den neuern Zeiten im Deutschen aufgenommene Franz. Wort Genie, welches nicht von dem Lat. Genius, sondern von Ingenium abstammet, wofür in den mittlern Zeiten auch nur Genium üblich war. 1. Die natürliche Art eines Dinges, die angeborne Art eines Menschen in Ansehung der Kräfte seines Geistes. Das Genie der Sprache, die eigenthümliche Art derselben, ihre Natur. Das eigenthümliche Genie eines Zeitalters. Ein Mensch von einem langsamen, trägen, schläferigen, muntern Genie, von einem langsamen u.s.f. Kopfe. In dieser Bedeutung kann man es im Deutschen füglich entbehren. 2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung. 1) Eigentlich, die natürliche Geschicklichkeit, gewisse Dinge leichter und besser zu vollbringen, als andern möglich ist; welche Geschicklichkeit die Folge eines bestimmten Verhältnisses aller Erkenntnißvermögen, oder eines hohen Grades aller Geisteskräfte ist. Ein Mensch von vielem Genie. Ein großes, ein vortreffliches, ein außerordentliches Genie. Das Genie bestehet hauptsächlich in dem Vermögen, sich aller intllectuellen Fähigkeiten der Seele mit Geschicklichkeit und Leichtigkeit zu bedienen, Sulz. in der Entwickel. des Begriffs vom Genie. Ein philosophisches, ein poetisches, ein moralisches, ein historisches Genie haben. Viel Genie zur Poesie oder für die Poesie, zur Musik oder für die Musik haben. Werke des Genies. Man siehet aus dem oben gegebenen Begriffe, daß die statt dessen von einigen versuchten Deutschen Ausdrücke denselben bey weiten nicht erschöpfen, ob sie gleich in manchen einzelnen Fällen dafür gebraucht werden können. Logau gebraucht dafür das Wort Sinn, andere nennen es den innern Sinn, ein völlig unbequemer ja unrichtiger Ausdruck, nach andern die Anlage, die Gemüthsfähigkeit, die Geisteskraft, das Geschick, den Geist u.s.f. welche unter andern auch um deßwillen untauglich sind, weil keines derselben den hohen Grad aller Geisteskräfte[564] ausdruckt, welcher eigentlich das Genie ausmacht. Kopf wäre vielleicht noch das einzige Deutsche Wort, welches das Französische mit der Zeit verdrängen könnte, wenn ihm nur nicht etwas Niedriges anklebte, und wenn es nicht zunächst die obern Kräfte der Seele bezeichnete, dagegen Genie sich auch, und zwar vorzüglich, über die unteren Kräfte erstreckt. Man sehe mein Buch über den Deutschen Styl, Th. 2, S. 361; wo zugleich bewiesen worden, daß es von Ingenium, keines Weges aber, wie gemeiniglich behauptet wird, von Genius abstammet. Man sagt bereits, er hat Kopf, d.i. er hat Genie. Er ist ein Mann von vielem Kopfe, von vielem Genie. 2) In noch engerer Bedeutung verstehet man unter diesem Ausdrucke zuweilen, besonders in den schönen Künsten, die zum Erfinden nöthige scharfe und schnelle Beurtheilungskraft, schnellen Witz und unerschrockenen Muth. Das Genie erschafft, das Talent setzt nur ins Werk. Der wegen der Wildheit seines Genies so verschrieene Ariost. Genie geht nach der Ordnung der Natur vor dem Geschmack her. 3) Figürlich. Eine mit Genie begabte Person, in beyden Bedeutungen. Locke, Newton, Leibnitz waren große Genies. Das Jahrhundert Leo des Zehnten brachte viele Genies hervor. Unter rohen wilden Völkern stehen nur selten vorzügliche Genies auf.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 564-565.
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