Meinen

[159] Meinen, verb. reg. welches seiner eigentlichen Bedeutung nach längst veraltet ist, und nur noch einige figürliche hinterlassen hat, welche insgesammt gewisse Fähigkeiten und Wirkungen der Seele bezeichnen. Es kommt in doppelter Gestalt vor.

I. Als ein Neutrum, mit Hülfsworte haben. 1) * Sich erinnern; eine der ältesten und vermuthlich auch ersten Bedeutungen, in welcher es das Neutrum von dem Activo mahnen zu seyn scheinet. S. dasselbe. Schon bey dem Ulphilas ist munja und gamunan sich erinnern, so wie bey den ältesten Römern menere, und bey den spätern memini, menisci, comminisci u.s.f.

2) * Denken, Schwed. mena, bey dem Ulphilas munan, im Angels. maenon; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher man nur noch zuweilen im gemeinen Leben sagt, anders meinen, anders handeln.

3) In engerer Bedeutung, dafür halten, urtheilen, ohne zu enrscheiden, ob das Urtheil wahr ist oder nicht, so wohl im weitesten Verstande, ohne Rücksicht auf die Gründe, um welcher willen solches geschiehet. Da sie ihn sahen auf dem Meere wandeln, meyyneten sie, es wäre ein Gespenst, Marc. 6, 49. Wer euch tödtet, wird meynen, er thue Gott einen Dienst daran, Joh. 16, 2.


Dann wird im nähern Glanz ihm (unserm Geiste) deine Gnad erscheinen,

Und er von die nicht mehr nach Vorurtheilen meinen,

Gieseke.


Als auch im engern Verstande, nach wahrscheinlichen Gründen urtheilen. Man meinet, der Streit werde bald geendiget seyn. Was meinen sie von der Sache? Ich sollte es nicht meinen, d.i. ich glaube, ich vermuthe es nicht. Nun, wenn du meinest, wenn du es für rathsam, thunlich oder wahr hältst. Meinst du, ich werde dir noch gute Worte geben? Meinst du nicht, daß sie für einander geboren sind? Gell. Was meinst du, hab ich recht? ebend. S. auch Vermeinen. In beyden Fällen ist es nur im gemeinen Leben und höchstens in der vertraulichen Sprechart üblich; dagegen in der anständigern dafür glauben, halten, oder ein anderer Ausdruck gebraucht wird. Von glauben ist es außer der Würde des Ausdruckes auch noch darin unterschieden, daß dieses sich auf eines andern Aussage beziehet, ein Activum ist, und daher auch die vierte Endung haben kann, dagegen meinen als ein Neutrum nur absolute gebraucht wird. Hierher gehöret auch die in den gemeinen Sprecharten einiger Provinzen, besonders Thüringens und Frankens, übliche Ausfüllungs-Partikel meeg, welche aus mein ich, d.i. wie ich dafür halte, zusammen gezogen ist, wofür der mehr Oberdeutsche Pöbel halt oder halter gebraucht. Schon Notker sagt, also meinich, für, das ist.

4) Mit seinen Worten einen gewissen Verstand verbinden; am häufigsten im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart. Was meinen sie damit? was wollen sie damit sagen? Ingleichen, mit seinen Worten auf jemanden zielen. Ich meine dich. Wen meinest du damit? wen hast du bey diesen Worten in Gedanken? Wo ist meine Braut? – Ja, ich weiß nicht, welche sie meinen, Gell. Ehedem wurde es auch sehr häufig für sagen gebraucht, in welchem Verstande schon meinon bey dem Ottfried vorkommt. In der anständigen Sprechart ist es auch hier veraltet, und nur[159] noch im gemeinen Leben fragt man zuweilen, wenn man auf eine höfliche Art zu wissen verlangt, was der andere gesagt habe, was meinen sie? oder, wie meinen sie? Es ist in diesen Fällen nur ein Überrest einer seiner sehr alten weitern Bedeutung, nach welcher dieses Wort für bedeuten überhaupt gebraucht wurde; in welchem Verstande es mit dem Schwed. mena, und dem Griech. μƞνυω, überein kommt.


Mih wundert was das meine,

was das bedeute,

der Burggraf von Rietenburg.


Was meinet diner hiute schin,

der Burggraf von Rietenburg.


– Was meinest du

Das du hast gelachet nu?

der Burggraf von Rietenburg.


was bedeutet das, daß du jetzt gelacht hast.

5) Willens seyn, wollen, im Schwed. mena, im Griech. μενειν. Im Deutschen ist, besonders im Oberdeutschen in der Schreibart der Kanzelleyen, in diesem Verstande nur das Mittelwort gemeinet mit dem Zeitworte seyn üblich; gemeinet seyn, Willens, entschlossen seyn. Das lose Volk –


Und ist gemeyut, mich grausam umzubringen,

Opitz.


Ich bin nicht gemeinet, die Sache darauf beruhen zu lassen. Der König war nicht gemeint, diesem Antrage Gehör zu geben. Im Schwed. ist Minne der Wille. In engerm Verstande ist gimeinan bey dem Ottfried befehlen.

5) Eine gewisse Gesinnung gegen jemanden hegen, deren Beschaffenheit durch ein Nebenwort bestimmet wird, und mit dem Wörtchen es. Er meint es gut mit dir. Es redlich, aufrichtig, treu meinen. Es falsch meinen. Es war so böse nicht gemeint. Ich weiß, sie meinen es gut mit mir. Wir werden stets finden, daß Gott es besser mit dem Menschen meinet, als es der Mensch mit sich meinen kann, Gell.


Die Sonne meint es gut, sie brennt fast gar zu sehr,

Gell.


Wo es auch in der passiven Form, doch nur unpersönlich gebraucht wird. Es ist so böse nicht gemeinet. Es war recht gut gemeint. Ehedem gebrauchte man es in diesem Verstande auch als ein Activum, mit der vierten Endung der Person. Mit vntrew meinten sie mich zwar, Theuerd.


Das Volk das du regierest,

Das dich mit Treuen meynt,

Opitz.


Den Gott mit Treuen meynt, den er von Herzen liebt,

ebend.


II. * Als ein Activum, lieben, geneigt, gewogen seyn, jemanden wohl wollen, mit der vierten Endung der Person, und als eine Fortsetzung der vorigen Bedeutung; ein im Hochdeutschen veralteter Gebrauch, der doch in den vorigen Jahrhunderten, besonders bey den Oberdeutschen Schriftstellern, sehr häufig ist.


Das si in von herzen meine,

Marggr. Heinrich v. Meißen.


Fuege das mih lieplich meine

Der vil lieben mündel rot,

Jacob von Warte.


Wird deine Treu sich deiner Schönheit gleichen,

Und du mich meynst, wie dich mein Herze liebt,

Opitz.


Ich hasse den, der deine Bahn nicht meynt,

Opitz.


Es ist sehr wahrscheinlich, daß das veraltete Zeitwort minnen, lieben, nur das Intensivum von diesem meinen ist, und bloß einen höhern Grad des Wohlwollens und der Liebe bedeutet, daher ehedem beyde Zeitwörter auch häufig mit einander verbunden wurden.


Sage der lieben, die ich von herzen minne,

Sie ist die ich mit ganzen trüwen meine,

Marggr. Otto von Brandenburg.


Das ich ir ere – minne und meine,

Heinr. v. Veldig.


Wer an der Miune valsches iht,

Damit ich iu – meine,

Rudolph von Rotenburg.


S. Minne.

[160] Das Verbale die Meinung ist nicht üblich, denn das Hauptwort dieses Klanges ist auf andere Art gebildet, S. dasselbe an seinem Orte.

Anm. Im Nieders. meenen, im Angels. maenan. Ehedem hatte dieses alte Zeitwort noch weit mehrere Bedeutungen. Man gebrauchte es für lehren, bestimmen, handeln oder thun u.s.f. Diese letzte scheinet eine der ersten zu seyn, so daß meinen so fern, es handeln oder thun bedeutet, zunächst die damit verknüpfte Bewegung ausdrucken, und also ein Abkömmling von mähen, so fern es ehedem bewegen bedeutete, seyn würde. S. das Activum Mahnen, welches auf ähnliche Art davon herstammet. Da die Nahmen aller Wirkungen des Geistes von körperlichen Bewegungen oder Handlungen entlehnet sind, so wurde meinen auch gar bald von den oben gedachten Handlungen der Seele gebraucht. Ehedem hatte man auch das Hauptwort Min, welches das Gemüth bedeutete, Engl. Mind, Schwed. Mon, Isländ. Mune, und sehr sichtbar mit dem Lat. Mens und Greich. μενος überein kommt; woraus zugleich das hohe Alter dieses Wortes erhellet. S. auch Miene. Viele schreiben dieses Wort und das davon abstammende Hauptwort Meinung mit einem ey, eine Schreibart, welche nichts zu ihrem Behufe anzuführen vermag, und welche über dieß erst im 16ten Jahrhunderte aufgekommen ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 159-161.
Lizenz:
Faksimiles:
159 | 160 | 161
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon