Räthsel (2), das

[957] 2. Das Räthsel, des -s, plur. ut nom. sing. Dimin. das Räthselchen, Oberd. Räthselein. 1) Ein Mährchen, eine Fabel, eine erdichtete Erzählung; eine im Hochdeutschen veraltete noch im gemeinen Leben Oberdeutschlandes übliche Bedeutung. Jemanden ein Räthsel erzählen, ein Mährchen. Auf ähnliche Art wird im Tatian ein Gleichniß Ratissa genannt. 2) Eine Aufgabe, welche nur durch Rathen aufgelöset werden, oder errathen werden kann, und auf solche Art aufgelöset werden soll. Jemanden ein Räthsel vorlegen, aufgeben. Ein Räthsel auflösen, errathen. Die Königinn aus Arabien versuchte den Salomo mit Räthseln, 1 Kön. 10, 1. Ich will euch ein Räthsel aufgeben; wenn ihr mir das Räthsel errathet, und treffet u.s.f. Richt. 14, 12. 3) Figürlich, eine dunkele, unbegreifliche Sache. Das ist mir ein Räthsel. Ich hoffe, daß sich das Räthsel in wenig Tagen aufklären wird. Die Räthsel des menschlichen Herzens entfalten.

Anm. In der ersten Bedeutung scheinet es vermittelst des Endlautes -sal oder -sel aus Rede gebildet zu seyn. In der zweyten Bedeutung lautet es im Angels. Raedels, im Engl. Riddle, von to rid, erklären, im Nieders. Afraels, für Afradels, und in einigen Oberdeutschen Gegenden Retdelsen. Mit dem seltnern und großen Theils veralteten Endlaute -iß, -isch, ist im Notker, in der Monseeischen Glosse u.s.f. Ratisca, Ratissa, Ratussa, theils eine jede Aufgabe, theils ein Gleichniß, theils ein Satz, theils endlich auch eine Muthmaßung. In den spätern Zeiten wurde es in der heutigen Bedeutung bald in Retsche, bald in Redersch und Rättersche, bald aber auch in Rätherle verderbt. Es stammet ohne allen Zweifel von rathen, divinare, ab, welches ehedem auch auslegen, erklären bedeutete, wovon es vermittelst des Endlautes -sal oder -sel gebildet worden; daher die Schreibart Rätzel auch aus diesem Grunde fehlerhaft ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 957.
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