Rechnen

[993] Rêchnen, verb. reg. act. et neutr. welches im letztern Falle das Hülfswort haben erfordert. 1) * Im eigentlichsten und ursprünglichen Verstande, sagen, reden, sprechen, und besonders erzählen; eine im Hochdeutschen längst veraltete Bedeutung, welche indessen doch der Grund aller folgenden ist, daher sie hier eine Stelle verdienet. Bey dem Kero ist rahhon erzählen, bey dem Ottfried rechan gleichfalls erzählen, und irreken mit Worten ausdrucken, und bey dem Notker rachan erklären; von welchem rachen oder rechen unser rechnen das Intensivum ist. 2) Zählen; eine nur noch in einigen Fällen übliche Bedeutung. Etwas an den Fingern herrechnen. Eines zum andern rechnen. Besonders der Zahl nach bestimmen. Die Zeit nach Jahren, nach Monathen rechnen. Wenn ich mich legete, sprach ich, wenn werde ich aufstehen? Und darnach rechnete ich, wenns Abend wollte werden, Hiob 7, 4. Nach dem Mond rechnet man die Feste, Sir. 43, 7. 3) Ein Ding unter eine allgemeine Eigenschaft, unter ein allgemeines Prädicat bringen; in welchem Verstande auch das[993] Wort zählen gebraucht wird. Er rechnet sich unter die ehrlichen Leute. Ich rechne mich auch dazu. Menschen, die sich selbst zum Geschlechte der Thiere rechnen. Er ist unter die Übelthäter gerechnet, Marc. 15, 28. 4) Mit in Rechnung, mit in Anschlag, mit in das Verzeichniß einer Zahl oder Menge bringen. Die Unkosten will ich nicht einmahl rechnen. Den Wein nicht mit gerechnet. Seine Mühe wird gar nicht gerechnet. Das Silber war nicht gerechnet, 2 Chron. 9, 20. 5) Schätzen, d.i. die Zahl und den Werth eines Dinges muthmaßlich bestimmen. Sie wurden gerechnet ins Heer zum Streit an ihrer Zahl 26.000 Männer, Chron. 8, 40. Jetzt ist diese Wortfügung veraltet, und man gebraucht dafür, wenn von einer Zahl oder Menge die Rede ist, das Vorwort auf: sie wurden auf 26.000 Mann gerechnet. Von dem Werthe, ohne Zahlwort, fängt es an im Hochdeutschen zu veralten. Das Silber wurde wie Koth gerechnet, Weish. 7, 9. 6) In weiterer Bedeutung, ein muthmaßliches Urtheil über die Beschaffenheit einer Sache fällen. Ein Narr wird auch weise gerechnet, Sprichw. 17, 28, für weise gehalten. Eine veraltete Bedeutung, welche nur noch zuweilen mit dem Vorworte für vorkommt, ungeachtet sie auch hier zu veralten anfängt. Etwas für einen Fluch rechnen, d.i. halten, Sprichw. 27, 14. Ihr Abschied wird für eine Pein gerechnet; Weish. 3, 2. Etwas für gemein rechnen, Röm. 14, 14. Um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, Phil. 3, 8. Das rechnet er für nichts. 7) Auf etwas rechnen, etwas Gutes davon hoffen, sich darauf verlassen. Rechnen sie auf meine Freundschaft, verlassen sie sich darauf. Wenn meine Zärtlichkeit auf Gegenliebe rechnen könnte. Ich rechne auf dich, verlasse mich auf dich. Darauf kann ich nicht rechnen. 8) Aus gegebenen Zahlen andere unbekannte finden; eine unmittelbare Figur von der zweyten Bedeutung des Zählens. Mit Rechenpfennigen rechnen. Rechnen lernen. Falsch rechnen. Zwey Summen zusammen rechnen. 9) Mit jemanden rechnen, mit ihm zusammen rechnen, mit ihm abrechnen; eine nur noch im gemeinen Leben übliche Bedeutung. Das Himmelreich ist gleich einem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte, Matth. 18, 23.

Daher das Rechnen. S. auch die Rechnung.

Anm. Schon bey dem Ulphilas rachnan, im Nieders. rekenen, im Schwed. räkna, im Isländ. reickna, im Dän. regna. Aus der Endsylbe -nen erhellet schon, daß es ein Intensivum ist. Das jetzt im Hochdeutschen veraltete Stammwort rechen, dessen schon bey der ersten Bedeutung gedacht worden, kommt noch im Theuerdanke für rechnen vor, und im Nieders. ist auch reken noch völlig gangbar, so wie das Engl. to reckon, das Angels. reccan, dasselbe auch noch haben. Im Pohln. ist rachowaty gleichfalls rechnen, und im Arab. Raekaem die Rechenkunst, und raekn schreiben, aufschreiben. Wachter leitet es von dem veralteten Racha, Ursache, her, weil doch das Rechnen ein Beweis einer Sache durch Zahlen sey; Junius und Ihre aber von dem Holländ. Reek, Nieders. Reege, die Reihe, welches durch die alte Art, vermittelst mehrerer auf Draht gereiheter Kügelchen zu rechnen, bestätiget wird. Indessen kann es auch seyn, daß der Begriff des Zählens und des Rechnens eine Figur von dem Begriffe der Rede ist, zumahl da fast alle gleichbedeutende Wörter im Deutschen und andern Sprachen ähnliche Figuren sind. Von dem Griech. λογος, das Wort, kommt λογιζεσθαι, rechnen; das Oberd. raiten, reiten, rechnen, Schwed. reda, zählen, gehöret zu reden; unser zählen ist das Angels. taellan, sagen, Holl. tellen, Engl. to tell, welches diese Bedeutung noch in erzählen hat, und andere mehr. S. 1 Reiten. Dieses raiten und unser rechnen sind nur im Endlaute unterschieden, so wie Keros Ruaua, das Angels. Raev, das Finnische Riwi, und Wallis. Hriff, eine Zahl. Übrigens ist in den Zusammensetzungen[994] noch das veraltete einfache rechen für rechnen üblich, wie Rechenbuch, Rechenkunst u.s.f.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 993-995.
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