Rechnen

[636] Rechnen oder eine Rechnung anstellen heißt aus gegebenen Zahlen durch Verbindung oder Trennung derselben eine gesuchte Zahl nach den Regeln finden, welche die Rechnenkunst oder Arithmetik (s.d.) dafür an die Hand gibt, die früher zu den sieben sogenannten freien Künsten gezählt wurde, ungeachtet die geistige Thätigkeit beim Rechnen so sehr an bestimmte Regeln gebunden ist, daß für die Einbildungskraft nichts zu thun übrig bleibt. Übrigens wird die Rechnenkunst auch in die mit Zahlen oder die gemeine Arithmetik und in die Buchstabenrechnung (s. Algebra) eingetheilt. Eine gewisse Fertigkeit in zuverlässiger Anwendung der Regeln der Rechnenkunst, wohin für das bürgerliche Leben besonders die sogenannten vier Species (Addition und Multiplication, Subtraction und Division), oder Rechnungsarten mit benannten und unbenannten und gebrochenen Zahlen (s. Bruchrechnung), ferner die Regel de tri, die Ketten- und die Arbitrage-oder Wechselcurs- und Zinsrechnung, in wichtigern Verhältnissen die Gesellschafts-, Vermischungs- oder Alligations-, Wahrscheinlichkeits-, Leibrenten-, Münzrechnung u.a.m. gehören, sowie der Vortheile, welche Decimalrechnung (s.d.) und Logarithmen gewähren, sind für den Geschäftsmann je nach seinem Wirkungskreise unentbehrlich. Das Rechnen selbst kann als sogenannte Kopfrechnung, bei der einfachere Aufgaben in Gedanken gelöst werden, mittels Niederschreiben der Zahlen oder auch durch Benutzung mechanischer Hülfsmittel, z.B. Rechnenbreter und Rechnenmaschinen, geschehen. Unter einem Rechnenbret ist nämlich eine Tafel von Holz, Metall, auch Pappe, mit einer Anzahl gleichlanger und paralleler Einschnitte zu verstehen, in denen sich durch Knöpfe von dem Herausfallen abgehaltene, hin und her bewegliche Stifte befinden, oder über die in einem darauf befestigten Rahmen anstatt der Einschnitte parallele Drahtsaiten mit daran beweglichen kleinen Kugeln gespannt sind, welches die Form des bei den Chinesen und vielen andern asiat. Völkerschaften noch jetzt üblichen Rechnenbretes ist. Beim Rechnen werden nun von den Stiften oder Kugeln, welche man anfangs sämmtlich an einer Seite, wo sie ohne Bedeutung sind, vereinigt, so viele auf die gegenüberliegende geschoben, als zur Bezeichnung der Anzahl von jeder der Einheiten höherer. Ordnung erfoderlich sind, welche von der Haupteinheit an in ihrer Reihenfolge hier durch die Drahtsaiten und dort von den Einschnitten vertreten werden. Im 16. und 17. Jahrh. bediente man sich zum Rechnen nach dieser Art auch der Tafeln mit Linien anstatt der Einschnitte, und die Stelle der Stifte vertraten Rechnenpfennige oder Zahlpfennige, die jetzt nur noch anstatt Spielmarken in Gebrauch sind. – Unter Rechnenmaschinen versteht man endlich Instrumente sehr zusammengesetzter Art, von denen, nachdem sie zur Lösung einer jeden Rechnungsaufgabe besonders gestellt worden sind, auf mechanischem Wege, d.h. durch die Wirkung der Maschine allein die Beantwortung erfolgt. Die erste Maschine dieser Art wurde von Pascal (s.d.) erfunden und später von L'Epine, noch mehr durch Leibnitz (s.d.) vervollkommnet. Eine andere ward zu Anfange des vorigen Jahrh. vom Professor Polenus in Padua ersonnen und der würtemberg. Pfarrer Hase, sowie 1786 der hessendarmstädtische Ingenieurhauptmann Müller stellten ebenfalls dergleichen auf. Alle diese Versuche wurden aber in der neuesten Zeit von der Rechnenmaschine des Professors der Mathematik an der engl. Universität Cambridge, Charles Babbage, geb. um 1790, auf eine Staunen erregende Weise übertroffen. Sie wurde 1828 für die engl. Regierung unter seiner Leitung für den Zweck zu bauen angefangen, mathematische und für die Schiffahrt nothwendige Tafeln zu berechnen und zu drucken, daher sie aus einem rechnenden und einem druckenden Theile besteht, und hatte im J. 1833 noch vor ihrer Vollendung schon gegen 40,000 Thlr. Kosten verursacht. Die berühmtesten Sachverständigen in England erkannten die erstaunlichen Leistungen dieses Werkes an, das Fehler sogleich von selbst verbessert und dessen einzelne Theile in der Zeichnung eine Fläche von 400 ! F. einnehmen. Der Einrichtung derselben sind die Differenzen (s.d.) zum Grunde gelegt und zur Erläuterung der Möglichkeit, einen Mechanismus danach so wirken zu lassen, daß er Zahlen von bestimmten Eigenschaften angibt, hat Babbage selbst das folgende Beispiel aufgestellt. Wären nämlich die Quadrate der aufeinanderfolgenden Zahlen 1, 2, 3, 4, 5 u.s.w., also die Zahlen 1, 4, 9, 16, 25 u.s.f. zu berechnen, so werden zuerst die Differenzen zweier aufeinanderfolgender Zahlen gesucht und als erste Differenzreihe 3, 5, 7, 9, davon aber die zweite 2, 2, 2, u.s.w. gefunden. Man stelle sich nun drei Uhrwerke a, b, c nebeneinander vor, von denen jedes ein in 1000 Theile getheiltes Zifferblatt mit einem Zeiger hat. Die Uhren a und b sind außerdem Repetirwerke und schlagen, wenn sie im Gange sind, b so viele Mal, als die Zahl verlangt, welche der Zeiger weist, und a immer zwei. Ferner sind b und a in der Art wirksam verbunden, daß bei jedem Glockenschlag von a der Zeiger von b um einen Theilstrich vorrückt, was durch die zwischen b und c angebrachten Beziehungen ebenso geschieht. Wenn nun das Werk a zwei schlägt, so wird, wenn die Zeiger von b und c auf 1 stehen, der von b auf 3 fortgerückt, und wenn nun b dreimal schlägt, der von c auf 4 zu stehen kommen und damit die zweite verlangte Zahl angegeben. Läßt man a nun wieder zweimal schlagen, so wird b alsdann 5 zeigen und schlagen und dadurch c den Zeiger auf 9 rücken und man hätte sonach die Quadrate von 2 [636] und 3 und würde ebenso die der folgenden Zahlen erhalten können. Die Schnelligkeit, mit welcher die wirkliche Maschine rechnet, kann so beschleunigt werden, daß sie die eines Abschreibers der Zahlzeichen bei weitem übertrifft. – Gedruckte Anleitungen zum Rechnen oder sogenannte Rechnenbücher, von denen in Deutschland die von A. Riese und Peschek (s.d.) zu den frühesten gehören, sind in neuester Zeit sehr viele bearbeitet worden, von denen zum Selbstunterricht unter andern Scholz, »Faßliche Anleitung zum gründlichen Kopf- und Zifferrechnen« (3 Thle., Halle 1832–33), Diesterweg und Hauser, »Methodisches Handbuch für den Gesammtunterricht im Rechnen« (2 Thle., Elberf. 1835), Noback's »Kurzes und leichtfaßliches Rechnenbuch für Kaufmannslehrlinge und Alle, die Geld- und Wechselgeschäfte haben« (Weim. 1833), sehr brauchbar sind.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 636-637.
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