Leibnitz

[720] Leibnitz (Gottfr. Wilh., Freiherr von), war einer der vielseitigst gebildetsten und um die Förderung der Wissenschaften, ja der ganzen menschlichen Bildung verdientesten Männer. Derselbe war der Sohn eines Professors zu Leipzig und wurde hier am 3. Jul 1646 geboren. Er studirte zu Leipzig und Jena die Rechtswissenschaften, Philosophie und Mathematik und hatte schon mehre Proben großer Gelehrsamkeit abgelegt, als man ihm in Leipzig die Doctorwürde versagte, weil er – noch keinen Bart hatte. Er wurde nun zu Altdorf Doctor und hielt sich dann in Nürnberg auf, wo er thätiges Mitglied einer alchemistischen Gesellschaft wurde, doch nach einiger Zeit austrat, nachdem er Aussicht auf eine Anstellung in mainzischen Diensten erhalten hatte. Er ging nun nach Frankfurt am Main und von da nach Mainz als kurfürstlicher Rath und Beisitzer der Justizkanzlei. Sehr gern verließ er 1672 dies für seinen regen Geist unerfreuliche Amt und begleitete den Sohn seines Gönners, des kurfürstl. mainz. Ministers von Boineburg, nach Paris. Im folgenden Jahre, nach dem Tode des Ministers, begab sich L. nach England und trat hier, von Paris aus auf das vortheilhafteste empfohlen, mit den ausgezeichnetsten Gelehrten in Verbindung. Er bot von England aus dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg seine Dienste an und erhielt von demselben eine Rathsstelle, eine Pension und sogar die Erlaubniß, sich noch länger zu seiner wissenschaftlichen Ausbildung im Auslande aufzuhalten. Er ging nun wieder auf 15 Monate nach Paris und von hier über England und Holland nach Hanover, wo er 1676 ankam. Seine nächste Aufgabe war die Einrichtung der Bibliothek, und dann ehrte man ihn mit dem Auftrage, die Geschichte des Hauses Braunschweig zu schreiben, ernannte ihn in der Folge auch zum geheimen Justizrath und Historiographen. Im Interesse dieser Geschichte war L. 1687 nach Wien und dann nach Italien gereist. Der Kurfürst von Brandenburg, nachmaliger König von Preußen, Friedrich I., hatte sich bei Errichtung der berliner Akademie der Wissenschaften seines Raths bedient und ernannte ihn im J. 1700 zum Präsidenten derselben. In der Folge ernannte ihn der Kaiser zum Baron und Reichshofrath und ertheilte ihm eine Pension von 2000 Gulden. Auch der russ. Zar Peter I. gab ihm einen Jahrgehalt von 1000 Rubeln und den Titel eines Geheimraths, nachdem sich L. mit ihm 1711 über die Civilisation seines Reiches berathen hatte. L. endete sein unermüdlich fleißiges und thatenreiches Leben am 14. Nov. 1716 zu Hanover, wo er an der Esplanade am Ende des Exercirplatzes begraben liegt. Seine Grabstätte ziert ein einfaches Monument in Gestalt eines Tempels, welches nur die Inschrift: »Ossa Leibnitzii« (Gebeine Leibnitz's) trägt. L. war nie verheirathet, er arbeitete mit unermüdlicher Thätigkeit, sodaß er sogar öfter sich nicht die Zeit nahm, das Lager zu suchen, sondern auf seinem Arbeitssessel schlummerte; seine Gesichtszüge waren angenehm, seine Gestalt hager und gebückt. Er erfreute sich einer festen Gesundheit und wurde nur in seinen letzten Lebensjahren durch Anfälle von Podagra heimgesucht. – Die größten Verdienste hat sich L. um die Mathematik erworben durch seine Erfindung der Differentialrechnung. Später wurde diese große Entdeckung von den englischen Gelehrten für Newton (s.d.) in Anspruch genommen und ein für L. selbst sehr ärgerlicher Streit deswegen geführt. Es ist indeß ausgemacht, daß L. zuerst die Differentialrechnung veröffentlicht hat, und sehr wahrscheinlich, daß erst durch Äußerungen von ihm Newton zur Auffindung derselben veranlaßt wurde. Nicht minder groß sind L.'s Verdienste um die Philosophie. Er ging von der Überzeugung aus, daß die Wahrheit dem Menschen angeboren sein müsse, erkannte aber als Wahrheit nur Dasjenige an, was sich vor dem reinen Verstande rechtfertigt und darum über den Schein, welcher der sinnlichen Anschauung angehört, erhebt. Der Verstand Gottes war ihm die höchste und letzte Quelle aller nothwendigen und ewigen Wahrheiten. Der Grund alles Wirklichen, das als eine Menge zusammengesetzter Substanzen erscheint, sind nach L. die schlechthin einfachen und nur für den Verstand begreiflichen Substanzen, welche er Monaden nannte, und auf deren nähere Bestimmung seine Philosophie, daher Monadologie genannt, ausging. In den Monaden wird die Natur (die Körperlichkeit) vergeistet, und demgemäß können sie keine äußere Eigenschaft, sondern nur die einzige innere Eigenschaft, die Vorstellung, besitzen, und aus der Mannichfaltigkeit der Welt ist zu schließen, daß die Monaden (Vorstellungskräfte) nach einer fortwährenden Veränderung streben. Thätigkeit und Leiden unterscheiden sich als deutliche und verworrene Vorstellung. Alle Monaden führte L. auf Gott als den Urquell, die Monade der Monaden, zurück. Ein berühmtes Werk L.'s ist seine »Theodicee«, in welcher er zu zeigen sucht, daß zwar dem göttlichen Verstande eine Unendlichkeit von Welten möglich gewesen sei, daß er aber zur Offenbarung seiner selbst in dieser Welt sich entschlossen habe, weil sie die beste aller möglichen Welten sei. Daher ist jedes Wirkliche auch das Beste, nämlich in dem ganzen Zusammenhange der Welt und obschon es als Einzelnes betrachtet unvollkommen [720] erscheinen kann. Man hat die hierin ausgesprochene Ansicht L.'s den Optimismus genannt. Gegenwärtig wird eine neue Ausgabe von L.'s deutschen Schriften (Berl. 1838) besorgt. Seine »Theodicee« ist deutsch (Mainz 1820) erschienen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 720-721.
Lizenz:
Faksimiles:
720 | 721
Kategorien: