Theodicee

[405] Theodicee bezeichnet wörtlich eine »Rechtfertigung Gottes« wegen der physischen und sittlichen Mangelhaftigkeit der Welt, also wegen der in der Welt vorkommenden Unvollkommenheiten, wegen der Existenz der Sünde und wegen der Freiheit des Menschen, durch welche die Sünde möglich ist. Da Gott als ein heiliges und vollkommenes Wesen durchaus keiner Rechtfertigung vor seinen Geschöpfen bedarf, so wäre der Gedanke einer Theodicee selbst nicht nur ein thörichter, sondern auch ein sündhafter, wenn seine tiefere Bedeutung nicht die Aufgabe wäre: den Menschen auf einen Standpunkt zu erheben, auf welchem ihm alle Mangelhaftigkeit und Sündhaftigkeit der Welt mit dem heiligen Willen Gottes vereinbar erscheint, sodaß er also durch die Theodicee zu einer Einsicht in das göttliche Wesen und in die Welt gelangen soll, welche ihm diese als das vollkommene Werk eines allmächtigen und heiligen Gottes erscheinen läßt. Die Religion wie die Philosophie haben keine höhere Aufgabe, als eben in diesem Sinne Theodicee zu sein. Indem das Christenthum lehrt, daß ein allmächtiger und allliebender heiliger Gott die Welt erschaffen habe und regiere, erscheint der Stifter derselben als Sieger über Tod (das Verderben, der Inbegriff der Unvollkommenheit in der sinnlichen Welt) und Teufel (das Verderben, der Inbegriff aller Unvollkommenheit in der sittlichen Welt), und dem gläubigen Christen verschwindet in dem Vertrauen zu dem allliebenden Vater die Macht von Tod und Teufel. Die Philosophie hat ebenso die Erkenntniß des Menschen so weit zu erheben, daß von ihm die Unvollkommenheiten der Welt als nur scheinbar existirend begriffen werden. Die Unvollkommenheit des einzelnen Menschen zeigt sich als die Ursache, daß ihm in der ihn umgebenden Welt selbst Unvollkommenheiten zu existiren scheinen; wie aber der einzelne Mensch, indem er sich selbst nach der ihm inwohnenden ewigen Natur begreift über seine eignen Unvollkommenheiten, als das schlechthin Nichtige sich erhebt, so verschwindet für ihn auch die Unvollkommenheit der Welt. Religion und Philosophie stimmen darin überein, daß »die Sünde der Leute Verderben ist«, d.h. daß der Mensch, wenn er jene schlechthin nichtige Seite seiner Existenz zum Herrschenden in sich werden läßt (der Endlichkeit sich ergibt) sich selbst vernichtet. Berühmt ist namentlich die »Theodicee« geworden, welche Leibnitz 1710 herausgab, in welcher er darzuthun sachte, daß Gott unter allen möglichen Welten, die er hätte schaffen können, die beste gewählt habe, und daß diese die unsrige sei. Die Vorstellung, daß Gott eine Mehrzahl verschiedener Welten hätte schaffen können, enthält eine unwürdige Vorstellung, indem der heilige und allmächtige Gott nur das Eine, nämlich die seiner durchaus würdige Welt schaffen kann. Vielmehr hat eine Theodiece den Satz auszuführen: daß diese uns umgebende Welt, trotz des für das endliche Auge vorhandenen Scheins von Unvollkommenheit, doch wahrhaft vollkommen sei und überall in ihrer Gottwürdigkeit dem Menschen erscheinen würde, sobald er sich auf den Standpunkt erheben könnte, von welchem Gott selbst seine Schöpfung anschaut.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 405.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: