Theodorich

[405] Theodŏrich, König der Ostgothen, war der Sohn eines ostgoth. Fürsten und wurde als solcher 455 n. Chr. in der Nähe von Wien geboren. Er wurde in seinem neunten Jahre als Geisel zu dem Kaiser Leo nach Rom geschickt, mit welchem die Gothen ein Bündniß abgeschlossen hatten. Zehn Jahre hielt er sich an dem kais. Hofe auf, wurde auf das Beste behandelt und fand Gelegenheit, sich zu bilden. Im I. 475 starb sein Vater und er wurde in der Herrschaft über die Ostgothen dessen Nachfolger. Dem griech. Kaiser Zeno, mit welchem T. verbündet war, leistete er bei Gelegenheit eines Aufstandes kräftigen Beistand, gerieth aber in der Folge mit ihm selbst in Krieg und zwang ihn zur Abtretung einiger Provinzen. Nachdem 476 Odoacer, der Anführer der Heruler, sich zum Herrn von Italien gemacht hatte, unternahm T., vielleicht vom Kaiser Zeno angeregt, einen Eroberungszug oder vielmehr eine Auswanderung seines ganzen Volks nach Italien. Er schlug den Odoacer in drei verschiedenen Schlachten und zwang ihn endlich, sich in Ravenna einzuschließen, wo ihn T. drei Jahre lang belagerte, bis durch Vermittelung des Bischofs ein Vertrag zu Stande kam, in welchem festgesetzt wurde, daß T. und Odoacer mit gleichem Rechte in Italien herrschen sollten. Diesen Vertrag verletzte T. auf das empörendste, indem er bei einem Gastmahle den Odoacer ermordete und nachher dessen ganze Familie hinrichten ließ. Nunmehr war er unbestrittener Herr in ganz Italien und Sicilien und legte sich den Königstitel bei. Er benahm sich während seiner Regierung ebenso klug als muthig. Die Römer machte er sich durch Bestätigung aller ihrer Vorrechte zu Freunden, dem griech. Kaiser ließ er die Ehre, für seinen Oberherrn zu gelten, ohne ihm sonst einen reellern Vortheil zu bewilligen, und nach außen befestigte er seine Herrschaft durch Bündnisse und Heirathen. Während er unter den Gothen die Stimmung für den Kriegsdienst zu erhalten suchte, indem er ihnen den dritten Theil Italiens unter der Bedingung des Kriegsdienstes in Lehn gab, suchte er unter den Eingeborenen Handel und gewerbliche Betriebsamkeit zu heben. Dabei tastete er die bisher bestandene Rechtsverwaltung nicht an, handhabte sie vielmehr nur strenger zum Besten seiner Unterthanen, legte keine neue Steuern auf, sondern erließ lieber, wenn Nothstand eintrat, einen Theil der alten, und machte sich durch alle diese Maßregeln so beliebt, daß die Eingeborenen das Schimpfliche einer Fremdherrschaft vergaßen. Als Residenz behielt er Ravenna bei, weil von hier aus am besten für die Sicherheit der Grenzen gesorgt werden konnte. In Rom und in andern Städten sorgte er dafür, daß die noch bestehenden Kunstwerke erhalten wurden, und traf manche zum Nutzen und zur Verschönerung gereichende Einrichtung. Er hatte ein allzeitfertiges Landheer und eine zahlreiche Flotte, um die Feinde abzuhalten, sodaß die Ruhe Italiens nicht gestört wurde. Er besiegte die Burgunder und that den Fortschritten der Franken Einhalt. Obgleich dem Arianischen Glaubensbekenntnisse zugethan, verfolgte er[405] doch Andersdenkende nicht und griff nicht willkürlich in die Vorrechte der katholischen Kirche ein. Nicht nur die Herrschaft der Gothen wurde durch den Glanz seines Namens geehrt, sondern ganz Italien, denn seit den blühendsten Zeiten der Republik hatte es nicht glücklichere Tage gesehen und war es nicht höher geachtet worden. Die ausgezeichneten Staatsmänner Cassiodorus und Boëthius standen ihm mit Rath und That zur Seite. Dem Letztern lohnte T. mit Undank, indem er den Verleumdungen seiner Feinde Glauben schenkte und ihn angeblich wegen hochverrätherischer Verbindungen mit dem Hofe von Konstantinopel hinrichten ließ, nachdem er ihn lange gefangen gehalten hatte. Überhaupt ließ sich T. gegen das Ende seines Lebens von Argwohn und Jähzorn beherrschen. Bald nach seinem Tode, der 526 erfolgte, ward das Reich durch innere Zwistigkeiten erschüttert und geschwächt, sodaß es Narses, der Feldherr des Kaisers Justinian, 552 vernichten konnte, worauf sogar der Name der Gothen unterging.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 405-406.
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