Ehre

[627] Ehre bedeutet zwar im Allgemeinen die Achtung, in der wir bei Andern und Andere bei uns stehen, indessen haben sich unter diesem Worte von jeher nicht blos der Zeit und den Völkern nach, sondern auch gleichzeitig bei den Classen einer und derselben Nation, und selbst bei den einzelnen Personen ein und desselben Standes sehr abweichende Begriffe geltend gemacht. Gewöhnlich unterscheidet man zwischen innerer und äußerer Ehre und versteht unter der innern, auch moralischen Ehre die, welche dem Menschen, in Bezug auf seinen innern Werth und seine rein persönliche Würde zusteht; die äußere Ehre dagegen ist die, welche ihm wegen seiner Stellung und seines Ranges von der Außenwelt zukommt. Die erstere steht in den Augen des Weisen weit höher als die letztere, denn die innere Ehre kann uns Niemand rauben, aber auch Niemand verleihen, da sie lediglich Folge eines reinen, unsträflichen Wandels ist; während die äußere Ehre von der Meinung unserer Mitmenschen abhängt und leicht, selbst ohne unsere Verschuldung, verloren gehen kann. Da uns indeß auch die äußere Ehre nothwendig ist, wenn wir unsere Aufgabe als Mitglieder der menschlichen und bürgerlichen Gesellschaft lösen und in derselben unser Fortkommen sichern wollen, so dürfen uns Verletzungen derselben nicht gleichgültig sein. Die Wirksamkeit der weltlichen und geistlichen Beamten hängt wesentlich von der Meinung ab, welche ihre Mitbürger von ihren Fähigkeiten und ihrer moralischen Würde haben; selbst der vermögende Kaufmann kann ohne die gute Meinung Anderer von seiner Klugheit und Redlichkeit nicht wohl bestehen u.s.w. In gewissen Fällen erscheint diese äußere Ehre, welche man insofern auch bürgerliche Ehre nennen kann, als sie jedem Staatsbürger so lange zukommt, als er sich derselben nicht durch bestimmte ungesetzliche und verwerfliche Handlungen unwürdig gemacht hat, vorzugsweise als Standes- oder Amtsehre. Denn besitzen auch alle Menschen gleiche Ansprüche auf Anerkennung der Menschenwürde in ihnen, so haben Sitten, Gewohnheiten und Gesetze doch gewissen Classen besondere äußere Ehrenvorzüge beigelegt, sowie auch auf der andern Seite in frühern Zeiten, ja zum Theil noch jetzt geltende Vorurtheile manchen Gewerben und Beschäftigungen eine gewisse Ehrlosigkeit zuschreiben. Auf eine vorzügliche Ehre machen der Adel, der Militairstand und die Studenten Anspruch, auch schützen die Gesetze die Amtsehre, vermöge welcher der damit Bekleidete während seiner amtlichen Geschäfte nicht nur das Unterlassen jeder ehrenrührigen Handlung, sondern auch denjenigen Grad der Achtung und Ehrerbietung verlangen kann, zu welchem sein Amt berechtigt. Der gesetzliche Weg, sich für Verletzungen der Ehre Genugthuung zu verschaffen und den Ehrenschänder zur gebührenden Strafe zu ziehen, ist die Anrufung der gerichtlichen Hülfe. (S. Beleidigung.) Adel, Offiziere und Studenten wollen jedoch diesen gesetzlichen Weg nicht für ehrenvoll und wirksam halten, sondern pflegen dafür den des Zweikampfs (s.d.) einzuschlagen, und die auf diesem Wege zu schlichtenden Streitigkeiten nennt man vorzugsweise Ehrenfachen. Damit dieser gefährliche und blutige Ausweg nicht zu häufig gewählt werde, hat man sogenannte Ehrengerichte eingesetzt, welche zuvor zu untersuchen haben, ob wirklich eine Beleidigung der Ehre vorliege, wobei aber freilich die sehr thörichten Vorurtheile des Standes des Beleidigten berücksichtigt werden. Erst wenn dieses entschieden, auch die Parteien zu einer freiwilligen Aussöhnung nicht zu bewegen sind, kann der Zweikampf vor sich gehen. – Ehrgefühl, franz. point d'honneur, nennt man das Bewußtsein der uns zukommenden innern und äußern Ehre, das je nach der Persönlichkeit der Menschen sehr verschieden und ein wahres und falsches sein kann, insofern die übereinstimmende Ansicht der vernünftigen Mitbürger Dasjenige, wodurch sich Jemand beleidigt fühlt, wirklich für eine Ehrenkränkung hält, oder dieselbe blos in der Einbildung des vermeintlich Gekränkten besteht. – Ehrenschulden werden im Spiel gemachte Schulden genannt, die in der Regel nicht klagbar sind, daher dem Ehrgefühl des Schuldners überlassen bleiben muß, sie zu bezahlen. – Ehrenämter heißen gewöhnlich solche Ämter, mit denen blos eine gewisse äußere Ehre, nicht aber eine Besoldung verbunden ist, und Ehrentitel diejenigen, welche blos den Namen, nicht aber den Wirkungskreis eines Amtes verleihen. – Ehrenmitglieder werden Mitglieder einer Gesellschaft ernannt, welche ihrer besondern Verdienste wegen in dieselbe aufgenommen werden und deshalb auch von den von andern Gesellschaftsgenossen zu zahlenden Beiträgen frei sind. Unter ähnlichen Verhältnissen wird auch an einzelne verdiente Männer das Ehrenbürgerrecht von Städten ertheilt. Davon verschieden sind die bürgerlichen Ehrenrechte, welche so lange jedem Bürger zustehen, als er sich derselben durch besondere Handlungen nicht verlustig gemacht hat. Durch Entziehung derselben geht nicht das Bürgerrecht, wol aber die Wahlfähigkeit für bürgerliche Ehrenämter verloren. Eine weit härtere Strafe ist die Ehrlosigkeit, wodurch dem Schuldigen jeder Anspruch auf öffentliche Achtung entzogen wird und die blos durch Urtheil und Recht erkannt werden kann, aber den für ehrlos (infam) Erklärten deshalb noch nicht rechtlos macht. Im Mittelalter galten gewisse Stände, z.B. der der Müller, Schäfer, Schweinschneider, Abdecker u.s.w., für ehrlos und es gibt noch heutiges Tages gewisse Classen von Menschen, welchen ein leichter Makel anklebt[627] und die selbst gesetzlich in manchen Ländern nicht zum vollen Genusse der bürgerlichen Ehre berechtigt sind. – Ehrenwort, franz. parole d'honneur, in Bezug auf adelige Personen Cavalier-Parole, ist eine Betheuerung oder Zusage unter Verpfändung der Ehre, und wer ein Ehrenmann sein will, muß natürlich solche Zusagen erfüllen. Wenn Kriegsgefangene auf Ehrenwort entlassen oder ihnen der Aufenthalt an einem Orte ohne besondere Bewachung gestattet wird, dürfen sie die Waffen nicht wieder gegen den Feind brauchen, bevor sie ausgelöst worden sind, oder jenen Ort nicht verlassen. – Unter Ehrenwaffen versteht man Degen, Säbel u.s.w. von ausgezeichneter Arbeit und zuweilen mit Inschriften versehen, welche für tapferes Verhalten an Krieger vertheilt werden. Diese Sitte mag daher rühren, daß in ältern Zeiten der Sieger die Waffen des Besiegten erhielt; später wurden siegreichen Feldherren von ihren Heeren zuweilen goldene und kostbar verzierte Degen dargebracht. Nachdem in Folge der franz. Revolution die Orden abgeschafft worden waren, wurden an deren Statt Ehrensäbel und Flinten, selbst Ehrentrompeten und mir Silber verzierte Ehrentrommelstöcke unter die Soldaten der Republik vertheilt, was aber nach Stiftung der Ehrenlegion (s.d.) wieder aufhörte. Gegenwärtig findet die Vertheilung von Ehrenwaffen vorzüglich noch im russ. Heere statt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 627-628.
Lizenz:
Faksimiles:
627 | 628
Kategorien: