Theodorich

[94] Theodorich. Die gewichtige Stunde hatte geschlagen: Roms Adlerpanier war in den Staub gesunken vor den Horden der Barbaren. Den letzten abendländischen Kaiser Augustulus hatte Odoaker, der Anführer der Heruler, entthront und sich zum Könige von Italien gemacht. Da faßte auch T., der Große genannt, König der Ostgothen (455 bei Wien geb), den Entschluß, nach Hesperien zu ziehen und auf die goldenen Trümmer der untergegangenen Römerwelt seinen eisernen Herrscherstuhl zu errichten. Mit seinem ganzen Volke machte er sich auf, gelangte nach einem beschwerlichen Marsche nach Aquileja und besiegte in mehreren Schlachten[94] den Odoaker, worauf Beide übereinkamen, mit gleichem Rechte in Italien zu regieren. Doch der Löwe erträgt es nimmer lang, einen Zweiten im Bereiche seiner Herrschaft zu wissen; bei einem Gastmahle ermordete T. den Odoaker und erhob sich zum alleinigen Könige Italiens. Als solcher beherrschte er von Ravenna aus die zertretenen Saaten, die entlaubten Pansgärten seines Reichs als ein weiser, königlicher Gärtner, belebend, was noch zu beleben war und mild schonend das Erstorbene wenigstens für die Erinnerung. In die Trümmerwelt der alten Cäsarenstadt hauchte er den Odem neuen Lebens, indem er nicht nur die Zerstörung und Beschädigung der alten Kunstwerke verbot, sondern auch namhafte Einkünfte zur Wiederherstellung der öffentlichen Gebäude anwies. So sollte durch eine seltsame Verkettung der Verhältnisse ein rauher Barbar noch einmal ein besänftigendes Wiegenlied singen an der alten Wiege der Humanität, bevor die neue Sonne der Kunst und Wissenschaft in spätern Jahrhunderten ihre Strahlen wieder ausbreitete über das unglückliche Land, bevor der Tragödie der Verödung Dante's göttliche Komödie folgte, und in die ehernen Klänge mörderischer Barbarenkämpfe Petrarca's zärtliche Lieder tönten. Doch nur kurze Zeit wurde der gothische Name gewürdigt, über den römischen seinen frischen Lebenshauch zu verbreiten; denn nicht lange nach T's Tod (526) fiel das Scepter in so schwache Hände, daß es den Feldherren des Kaisers Justinian gelang, die Gothen zu besiegen, und ihrer Herrschaft (552) völlig ein Ende zu machen.

B.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 94-95.
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