Bart

[186] Bart, der dem männlichen Geschlechte als Zeichen eingetretener Mannbarkeit eigenthümliche Haarwuchs an Kinn, Wangen, Ober- und Unterlippe, welcher Weibern, Kindern und Verschnittenen fehlt und in Hinsicht auf Farbe, Stärke und Länge sowol bei Einzelnen, wie bei ganzen Menschenrassen und Völkern vielfache Verschiedenheiten darbietet. Die Europäer, überhaupt die Menschen kaukasischer Rasse und von ihnen wieder die Bewohner der nördl. kältern und feuchten Länder, haben im Allgemeinen einen stärkern Bartwuchs als z.B. die eingeborenen Amerikaner, und längeres, weicheres und lichteres Barthaar als die Italiener, Spanier, Portugiesen und andere Südländer, denen ein härterer, trockner und in der Regel schwarzer Bart eigen ist. Während es ferner Männer gibt, die trotz aller sonstigen Eigenschaften männlicher Ausbildung kaum eine Spur von Bart besitzen, kommen auch Beispiele außerordentlich starken Bartwuchses vor. Einen der längsten Bärte besaß unter Andern der auch durch Körperkraft und Größe berühmte deutsche Ritter und Kriegsrath Kaiser Maximilian II., Andreas Eberhard Rauber von Talberg und Wieneck, dem sein Bart bis zu den Füßen, von diesen wieder bis zum Gürtel reichte und dann immer noch um den Leib und um einen Stock gewickelt werden konnte. Als Seitenstück mag der Bart eines 1572 gestorbenen Bürgermeisters von Braunau im Innviertel gelten, der an dessen lebensgroßer Abbildung in der dortigen Pfarrkirche ihm einen Fuß weit über die Knöchel herabgeht. Abgesehen von solchen seltenen Fällen, kann ein starker Bartwuchs als ein Zeichen körperlicher Kraft betrachtet werden und galt von jeher als eine Zierde des Mannes und als ein Zeichen der Weisen und Priester. Die Mode machte jedoch ihre Herrschaft auch über den Bart geltend und während ganze Nationen um die längsten Bärte wetteiferten, schoren sich ihn andere ganz oder doch größtentheils ab. Die meisten Völker des Alterthums ließen ihn wenigstens am Kinn lang wachsen, salbten und räucherten ihn. Moses verbot seinem Volke, sich die Bärte zu scheeren und die altgläubigen Juden tragen daher noch gegenwärtig lange Bärte. Die Griechen schoren sich nur den Bart an der Oberlippe und die Sitte, sich ganz glatt zu rasiren, soll erst durch Alexander den Großen bei ihnen einheimisch geworden sein, der vor der Schlacht von Arbela seinem ganzen Heere den Bart zu scheeren befahl, weil ein kurzer Bart im Treffen am wenigsten hindere. Die Römer trugen in früherer Zeit ebenfalls den Bart lang und schoren sich ihn nur zum Zeichen der Trauer, bis Scipio Africanus der Jüngere das bald allgemein nachgeahmte Beispiel gab, sich durch eigens dazu bestellte Sklaven den Bart täglich abnehmen zu lassen, der von nun an nur noch von Philosophen, Priestern und Soldaten, sowie in Zeiten der Trauer und des Unglücks, erst später aber, unter der Regierung einiger Kaiser, wieder allgemein lang getragen wurde. Zuweilen wurde das erste Barthaar den Göttern geweiht und von Nero ist bekannt, daß er das seinige dem capitolinischen Jupiter in einer kostbaren goldenen Kapsel darbrachte. Einen goldenen Bart trug zuweilen der Kaiser Caligula; auch von den alten pers. Königen wird erzählt, daß sie goldene, d.h. mit Golddraht durchflochtene Bärte getragen haben. Unter den german. Völkerstämmen behauptete der Bart sein Ansehen, und insbesondere sollen die Longobarden ihren langen Bärten ihren Namen verdanken. Im Mittelalter blieben die [186] Bärte bei Ehren, ihre Form wechselte aber häufig und man trug bald Schnur- und Knebelbärte an der Oberlippe, Spitzbärte an Unterlippe und Kinn, bald Beides vereinigt; auch spielte der Bart eine wichtige Rolle bei Verträgen und Urkunden, zu deren größerer Bekräftigung oft einige Haare aus demselben den Siegeln einverleibt wurden; ja selbst als Pfand wurden abgeschnittene Bärte vornehmer Herren gegen sehr hohe Summen eingesetzt. Der Bart wurde aber auch, vorzüglich in Frankreich, ein ganz besonderer Gegenstand der männlichen Eitelkeit; man behandelte ihn mit Farben, Beitzen und wohlriechenden Salben und steckte ihn des Nachts in einen eignen Beutel. Für einen Stutzer damaliger Zeit galt es als besondere Gunst, wenn ihm eine Dame seinen Bart bürstete. Nach König Heinrich IV. erhielt noch seine Art, den Bart am Kinn zu tragen, den Namen Henry quatre, allein als 1610 sein Nachfolger Ludwig XIII. als neunjähriger Knabe den Thron bestiegen hatte, kamen seiner Unbärtigkeit wegen die langen Bärte zuerst bei Hofe und dann immer mehr und mehr ab, bis zu Ludwig XIV. Zeit nicht blos in Frankreich, sondern fast in allen Ländern Europas die Mode allgemein wurde, sich völlig glatt zu rasiren. Bei den gemeinen Russen haben sich, trotz der Verbote Peter des Großen, die langen Bärte bis auf den heutigen Tag erhalten, sowie in Ungarn und Polen die Knebelbärte. Erst die franz. Revolution brachte die Backenbärte wieder auf, die gegenwärtig noch getragen werden und deren Form sich nach der Mode richtet. Bei allen Mohammedanern steht der Bart an Kinn und Unterlippe noch jetzt in demselben Ansehen wie vormals und wird für den vorzüglichsten Schmuck des Mannes gehalten; sie schwören bei ihm, machen ihn zum Gegenstand der wärmsten Segenswünsche und betrachten eine Verletzung der Achtung, die man nach ihren Ansichten ihm schuldig ist, als die größte Beschimpfung. Weiber und Kinder küssen ihren Männern und Vätern, die Männer sich gegenseitig den Bart bei der Begrüßung; kämmen sie ihn, so sammeln sie die ausfallenden Haare sorgfältig und begraben sie auf dem Begräbnißplatze. Der Bart an der Oberlippe theilt diese Achtung nicht, weil ihn der Prophet sich abschor. – Auch zu sprüchwörtlichen Redensarten hat der Bart Veranlassung gegeben, und man sagt z.B. »Jemand um den Bart gehen«, als gleichbedeutend mit »Jemand schmeicheln«; »Einem einen Bart machen«, d.h. ihn hintergehen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 186-187.
Lizenz:
Faksimiles:
186 | 187
Kategorien: