Stamm, der

[278] Der Stamm, des -es, plur. die Stämme, Diminut. das Stämmchen, Oberd. Stämmlein. 1. Eigentlich, der Theil eines Baumes zwischen der Wurzel und den Aesten, aus welchem diese letztern entspringen. Ein gerader, hoher Stamm. Sprichw. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme, die Kinder arten gemeiniglich den Ältern nach. In engerer Bedeutung pflegt man zuweilen auch den untersten dicksten Theil dieses Stammes zunächst an der Wurzel, das Stammende, nur den Stamm schlechthin zu nennen, so wie man in weiterer, unter Stamm oft den ganzen Baum verstehet, so fern er um seines Stammes willen geschätzet wird. Funfzig Stämme Bauholz fällen. Auch in den Baumschulen werden die jungen Bäume gemeiniglich Stämme genannt, ohne Zweifel, weil man sie daselbst um ihrer Stämme willen erziehet, und dieselben nachmahls durch Pfropfen veredeln zu können. Im weitesten Verstande, der aber nur in der Kräuterkunde am üblichsten ist, heißt der Theil einer jeden Pflanze über der Erde, welcher die übrigen Theile träget, der Stamm: im gemeinen Leben der Stängel. In engerer Bedeutung bekommt dieser Theil nur den Nahmen des Stammes, Caulis, wenn er Blätter und Blüthen trägt; zum Unterschiede von einem Schafte und Strunke.

[278] 2. Figürlich. (1) Dasjenige, woraus ein oder mehrere Dinge Einer Art entspringen. So pflegt man die Stamm- oder Wurzelwörter, woraus andere entspringen, oft nur die Stämme dieser zu nennen. In dem l'Hombre-Spiel ist der Stamm oder die Stammkarte, derjenige Haufen Karten, von welchem die spielenden Personen, nachdem gegeben worden, die zum Spiele nöthigen Karten nehmen. (2) Diejenigen Dinge Einer Art, welche von einem gemeinschaftlichen Ursprunge herkommen; als ein Collectivum, doch mit dem Plural. (a) Mit dem herrschenden Begriffe des gemeinschaftlichen Ursprunges, wo besonders eine Menge mehrerer von einem gemeinschaftlichen Stammvater herkommender Menschen ein Stamm genannt wird. Man gebraucht es hier für Geschlecht, doch nur in einigen Fällen und ohne Plural. Der ganze Stamm ist ausgestorben. Er ist der letzte seines Stammes. Seinen Stamm vermehren, sein Geschlecht. Zuweilen gebraucht man es in engerm Verstande von den Zweigen oder Ästen eines Geschlechtes. Der männliche, der weibliche Stamm. Am häufigsten aber ist es von einer aus mehrern einzelnen Häusern oder Geschlechtern bestehenden Menge Menschen, so fern selbige von einem gemeinschaftlichen Vater abstammen; da denn mehrere solcher Stämme ein Volk machen. So sind in der Deutschen Bibel die zwölf Stämme Israel bekannt, welche zusammen genommen das Jüdische Volk ausmachten. (b) In einigen obgleich einzelnen Fällen verlieret sich der Begriff des gemeinschaftlichen Ursprunges, und es bleibt nur der Inbegriff der Vielheit übrig, wozu sich noch der diesem Worte ursprünglich eigene Begriff der Festigkeit und Dauer gesellet. 1. Ein Capital, eine auf Zinsen ausgethane Summe Geldes wird häufig der Stamm oder Hauptstamm genannt. S. auch Lehensstamm. Daher auch in manchen Arten von Spielen, das im Pot befindliche Geld, warum gespielet wird, der Stamm heißt. 2. Eine Menge Viehes Einer Art, so fern dieselbe auf eine dauerhafte Art der Zahl und Güte nach erhalten wird, heißt oft ein Stamm. Das Gut hat einen tüchtigen Stamm von kluft- und weichhärigen Schafen. 3. Im Bergbaue ist der Stamm eine Zahl von vier Kuxen; 32 Stamm (nicht Stämme, nach dem Muster so vieler anderer Wörter, welche eine Zahl, ein Maß, Gewicht u.s.f. bedeuten,) machen eine Zeche oder 128 Kux. Indessen scheinet es hier auch einer andern Ableitung fähig zu seyn.

Anm. Im Schwed. gleichfalls Stamm, im Angels. Stemne, im Engl. Stem, im Latein. Stemma, alle in der ersten eigentlichen Bedeutung. In der figürlichen eines Geschlechtes gebraucht schon Winsbeck Stamm, Notker aber noch Chumberra, Chumbarru, vielleicht Chunbarru, von Chunne, Geschlecht. Der Begriff der Stärke, Dicke und Festigkeit ist sichtlich der herrschende. Siehe Stämmen, Stämmig, Stumpf, Stampfen u.s.f. Im Griech. ist σημά, der Stängel, welches zu dem Lat. Stamen, u.s.f. gehöret, von welchen Stamm ein Intensivum ist, eine größere Dicke und Stärke zu bezeichnen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 278-279.
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