Stimmen

[382] Stimmen, verb. regul. welches eine doppelte Hauptbedeutung hat, und zugleich in doppelter Gattung üblich ist. I. Als ein unmittelbarer Verwandter von dem vorigen Stimme. 1. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben. (1) Eine Stimme und in weiterer Bedeutung einen Ton von sich geben, wo es im eigentlichen Verstande von musikalischen Stimmen am üblichsten ist, doch so, daß es sowohl von der Singestimme, als auch von dem Klange musikalischer Instrumente gebraucht wird. (a) Eigentlich. Zwey Instrumente stimmen zusammen, wenn sie beyde das gehörige Verhältniß des Tones oder Klanges haben, wofür man auch nur schlechthin sagt, sie stimmen. Die Violine stimmt nicht zur Trompete. Das Clavier stimmt rein, wenn alle Saiten die verhältnißmäßige Tonhöhe haben. In den[382] Ton stimmen ihre Klagen, Seufzer und Wünsche, Herd. Siehe auch Anstimmen, Einstimmen und Beystimmen, welches letztere doch nur von der Stimme des Redenden üblich ist. (b) Figürlich ist zusammen stimmen und überein stimmen, einerley Inhalt, einerley Meinung, und in weiterm Verstande auch das gehörige Verhältniß gegen einander haben, überein kommen. Ihr Zeugniß stimmete nicht überein, Marc. 14, 56. Menschen, die in ihren Meinungen, Neigungen und guten Absichten mit einander übereinstimmen und überein zu stimmen suchen, Gell. Im ganzen stimmen die Theile nicht gehörig überein, haben nicht das gehörige Verhältniß. Der Ausgang stimmet nicht mit meiner Erwartung überein, ist ihm nicht gemäß. In der menschlichen Seele stimmt alles zu weisen Absichten zusammen, Gell. Wo das Nebenwort auch wohl ausgelassen wird. Wie stimmet Christus mit Belial? 2 Cor. 6, 14. Mutter und Tochter stimmen nicht so recht, sind nicht so recht einig. Diese Vergehungen stimmen nicht zu der heiligen Mine, die er sich gibt, schicken sich nicht dazu. Nach einer noch weitern Figur scheint Opitz es auch für gefallen zu gebrauchen, in welchem Verstande es aber im Hochdeutschen fremd ist:


Wahr ists, daß alles Ding nicht allen Menschen stimmt,

Daß Hochmuth dieß für das, und das für jenes nimmt.


(2) Von Stimme, Meinung, Urtheil unter mehrern, ist stimmen, diese Meinung von sich geben. Für eine Sache, wider dieselbe stimmen. Über etwas stimmen, die Stimmen darüber geben. Wir haben noch nicht gestimmt. Siehe auch Beystimmen.

2. Als ein Activum, wird ein musikalisches Instrument gestimmt, wenn man demselben oder den einzelnen Theilen desselben die verhältnißmäßige Höhe oder Tiefe des Tones gibt. Ein Clavier, eine Violine, eine Orgel stimmen. Ein Instrument um Einen Ton höher stimmen. Ingleichen figürlich. Harmonische Empfindungen gleich gestimmter Seelen, Dusch. Seinen Verstand stets nach der Anleitung anderer stimmen, heißt sein Eigenthum verlassen, um betteln zu können, Gell. Wir bewunderten die treffliche Anlage dieses Mädchens; sie stimmte sich mit ungemeiner Richtigkeit auf jeden Ton, Herm. Er ist immer auf den prahlhaften Ton gestimmt. Jemanden stimmen, ihm unter der Hand eingeben, angeben, wie er urtheilen und handeln soll. Er ist schon gestimmt, er hat schon geheime Anweisung erhalten. Wo es aber auch eine Figur der folgenden Bedeutung seyn kann.

II. Mit dem herrschenden Nebenbegriffe sowohl der Spitze als auch der Festigkeit und Dauer, ist es als ein Activum nur noch in verschiedenen figürlichen Bedeutungen in dem zusammen gesetzten bestimmen üblich, welches sowohl bedeutet, die Merkmale einer Sache genau angeben, als auch, fest setzen, entschließen u.s.f. Ehedem war das einfache stimmen in eben diesem Verstande gangbar. Stimme mir, wenn ich für dich bitten soll, 2 Mos. 8, 9. Und stimmeten einen Tag, da die beyde zu Hause kommen sollten, 2 Macc. 14, 21. Alles für bestimmen.

So auch die Stimmung.

Anm. In der ersten Hauptbedeutung ist es ohne Zweifel eine Onomatopöie der Stimme selbst, der Form nach aber ein Intensivum von einem veralteten stimen, wohin auch das Lat. aestimare, und ohne Zischlaut das alte Gothische domjan, urtheilen, richten, u.s.f. zu gehören scheinen. Die zweyte Hauptbedeutung ist wohl keine Figur der ersten, sondern eine eigene, ob gleich am Ende gleichfalls verwandte Bedeutung. Die meisten Wörter, welche ursprünglich einen Laut bezeichnen, bedeuten nach sehr gewöhnlichen Figuren auch verschiedene Arten der Bewegungen, Richtungen und Körpermassen, die mit solchem Laute verbunden sind. Stim bedeutet[383] daher in Stimulus, und ohne Zischlaut in Temo, ein in die Länge ausgedehntes Ding, in Stamm, desgleichen mit dem Begriffe der Festigkeit, der Masse u.s.f. Stimmen in Bestimmen, die Merkmale eines Dinges anzeigen, scheinet eigentlich eine Figur des Stechens, in der Bedeutung des Festsetzens aber, ein Bild von Stamm zu seyn. Auf eben dieselbe Art heißt die Stimme im Gothischen Stibna, im Angels. Stefen, im Lappländischen Stiubne, welches zu unserm Stab, Stift, Stupfen u.s.f. gehöret.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 382-384.
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