Stumpf

[476] Stumpf, -er, -este, adj. et adv. von dem Zeitworte stumpfen oder stümpfen. 1. Eigentlich, gestümpft, abgekürzt, und daher seiner gehörigen Länge beraubt; in welcher Bedeutung es doch wenig mehr gebraucht wird, ob man gleich noch sagt, ein stumpfer Schwanz, welcher nicht die gehörige oder gewöhnliche Länge hat; ein stumpfer Besen, welcher gestümpft, oder abgehauen ist. 2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, der Schärfe und Spitze beraubt, im Gegensatze des scharf und spitzig. (1) Eigentlich von der körperlichen Schärfe oder Spitze, sowohl überhaupt, nicht scharf, nicht spitzig. Ein stumpfer Winkel, welcher über 90 Grade hält, im Gegensatze eines spitzigen. Als auch vornehmlich, von Dingen, welche scharf oder spitzig seyn sollten. Eine stumpfe Nase, welche nicht die gewöhnliche Spitze hat, S. Stumpfnase. Eine stumpfe Schneide, stumpfe Spitze. Das Messer, die Axt, die Säge ist stumpf. Ein stumpfes Messer. Stumpf seyn, machen, werden. (2) Figürlich, im Gegensatze dessen, was man im figürlichen Verstande scharf und spitzig zu nennen pflegt. (a) Die Zähne werden stumpf, wenn sie von einer herben Säure die gehörige Kraft zum Beissen verliehren; Lat. stupidus, blennus. Die Väter haben Herlinge gegessen, und der Kinder Zähne sind stumpf worden, Jer. 31, 29, 30. In einigen Gegenden sagt man dafür, die Zähne sind aufgestanden; in Franken gebraucht man für stumpf, elger, wo der Zähnelger auch die stumpfe Beschaffenheit der Zähne ist, Stubor dentium, in Meißen eilend, in Nieder-Deutschland schlehe, slee, Ital. ohne Zischlaut legato. (b) Der Wein ist stumpf, wenn er nicht die gehörige Schärfe hat, im Nieders. stumm, und im Hochdeutschen von andern Körpern, z.B. dem Salze, auch dumm. Ein stumpfer Geschmack. (c) Von den Sinnen, dem Verstande u.s.f. der gehörigen Schärfe, Durchdringlichkeit, Lebhaftigkeit u.s.f. beraubt. Stumpfe Sinne haben. Ihr Herz und ihre Sinnen sind durch das Laster stumpf geworden, Sonnenf. Bey jedem Gegenstande unserer Leidenschaften wird zuletzt der Kopf stumpf, Zimmerm. Ein stumpfer Beobachtungsgeist, Verstand. Ja, sie singen, aber unser Ohr ist zu stumpf das feine Concert zu vernehmen, Geßn. Die Augen werden stumpf, wenn sie nicht mehr mit der gewöhnlichen Schärfe sehen. Man sagt, es werde jemand stumpf, wenn er vor Alter oder Schwachnicht[476] mehr die gehörige Lebhaftigkeit des Körpers oder des Leibes zu seinen Geschäften hat. Ein stumpfer Witz, stumpfer Einfall.

Anm. Im Nieders. und Schwed. stump. S. Stümpfen. Im Nieders. ist dafür auch stuuf üblich, so wie im Schwed. stufva, stümpfen ist. Es fehlet der Deutschen Sprache ein Hauptwort von diesem Beyworte, denn Stumpfheit, welches das schicklichste wäre, ist nicht eingeführet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 476-477.
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