Urkunde, die

[963] Die Urkunde, plur. die -n, ein sehr altes, in den neuern Zeiten oft mißverstandenes Wort. Es bedeutet. 1. Ein Zeugniß, in welcher Bedeutung dieses Wort sehr alt ist,, und schon im Isidor Archundi, bey dem Kero aber Urchundi lautet Ther quam ci urkunde, der kam zum Zeugnisse, im Tatian. Ottfried und seine Zeitgenossen gebrauchen es in dieser Bedeutung sehr häufig.


Darnach er zu Verkunndt erschalt

Sein Horen,

Theuerd.


Zum Beweise, zum Zeugnisse. Da es denn auch wohl männlichen Geschlechtes war. Tabernakel des Urkundes, die Hütte des Zeugnisses, des Stifts, in einer alten Bibel-Übersetzung bey dem Frisch. Zi urchundi ziuho, in der Monseeischen Glosse, ich zeihe oder bezeuge zum Zeugnisse. Man gebraucht es in dieser Bedeutung nur noch in schriftlichen Zeugnissen oder andern schriftlichen Verhandlungen, am Schlusse derselben. Zu Urkunde dessen (des obigen) ist gegenwärtige Schrift – unterschrieben – und untersiegelt worden u.s.f. Zu dessen Zeugniß, Beweis. Außer welchem Falle es im Hochdeutschen veraltet ist. Sehr häufig bedeutete es ehedem auch im männlichen Geschlechte einen Zeugen. Thie megun urkundon sin, die mögen Zeugen seyn, Ottfr. Ein warer Godes urkunde, in dem alten Fragmente auf Carln den Großen bey dem Schilter. Und alsdann hieß zum Unterschiede ein Zeugniß auch Urkundschaft (bey den Handwerkern noch jetzt Kundschaft,) und Urchundituom, welches letztere in den Monseeischen Glossen vorkommt. 2. In engerer Bedeutung, ein schriftliches Zeugniß besonders aber jede schriftliche, vornehmlich öffentliche Verhandlung, so fern sie in spätern Zeiten zu einem völligen Beweise dienet; wo dieses Wort von allen öffentlichen Verhandlungen, besonders älterer Zeiten gebraucht wird, welche man mit einem ähnlichen Lateinischen Ausdrucke auch Documente zu nennen pflegt; Eine Beweisschrift. Alte Urkunden sammeln. Urkunden heraus geben, sie drucken lassen. Handschriftliche, geschriebene, gedruckte Urkunden. Ein Urkundenbuch, Chartularium, in welches die Urkunden eingetragen werden. Die Urkundensammlung, welche, so fern sie öffentlich ist ein Archiv heißt. Woraus erhellet, daß es von allen Beweisschriften dieser Art gebraucht wird, ohne einen Unterschied zwischen Originalen oder Copieen zu machen. 3. In den neuern Zeiten haben einige Schriftsteller angefangen, dieses Wort theils in engerer, theils in[963] weiterer Bedeutung für Original zu gebrauchen, so fern es sowohl die Urschrift, im Gegensatze der Copie, als auch den Grundtext, die Grundschrift, im Gegensatze der Übersetzung, bezeichnet. Ohne Zweifel hat die Mißdeutung der Partikel ur in dieser Zusammensetzung diesen Mißbrauch veranlasset, denn daß in derselben kein Grund zu einer solchen Bedeutung vorhanden ist, indem Urkunde nichts mehr als Beweisschrift bezeichnen kann, wird sogleich erhellen.

Anm. Denn es ist erweislich genug, daß ur hier nicht das erste oder ursprüngliche seiner Art bedeutet, sondern das bloße er noch der veralteten rauhen Aussprache ist, und von dem alten arkunden, urkunden, erkunden, bezeugen, beweisen, Kundschaft geben, abstammet. Mit gareuuem Bilidum dher Heiligi chiscribes eu izs archundemes, wir wollen es mit angezogenen Beyspielen der heiligen Schrift beweisen, im Isidor. Die Regel habend wir geschrieben durch das, – das wir uns damit erzogen zu haben ersam sitten oder ein anfang der bekerung erkunnen, wir haben die Regel geschrieben, – damit wir dadurch beweisen, daß wir ehrsame Sitten oder einen Anfang der Bekehrung haben. Also ich ouch erchunneta, Notker Ps. 55. Und so in andern Stellen mehr, wo erkunden, und nach einer gröbern Mundart urkunden, nichts anders als bezeugen, beweisen bedeutet. S. auch das folgende.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 963-964.
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