Vermessen

[1092] Vermêssen, verb. irreg. act. S. Messen, welches nach Maßgebung beyder Theile der Zusammensetzung in verschiedenen Bedeutungen üblich ist.

1. Von messen, so fern es eigentlich bedeutet, das körperliche Maß der Dinge bestimmen, ist vermessen: (1) Das Maß eines Dinges bestimmen, wo ver eine Intension bezeichnet, und das Zeitwort nur im engern Verstande von der Ausmessung gewisser Theile der Erdfläche gebraucht wird. Ein Feld vermessen. Im Bergbaue werden die Fundgruben und Maßen vermessen, wenn am Tage, d.i. auf der Oberfläche der Erde, nach dem Lachtermaße bestimmt wird, wie weit sich selbige erstrecken. Ein Vermessen vornehmen. Das Feld einem andern vermessen, nach dem Maße zutheilen. Daher das Vermeßbuch, worein alles, was bey dem Vermessen vorgegangen, eingetragen wird; das Vermeßgeld, welches die Gewerken für das Vermessen bezahlen; die Vermeßmahlzeit, welche bey dem Erbbereiten und dem damit verbundenen Vermessen den Bergbeamten gegeben wird. Daher das Vermessen und die Vermessung. (2) Sich bey dem Messen oder im Maße irren, wo ver einen Irrthum, eine Abweichung von dem Wahren bezeichnet. Es wird in diesem Falle von allen Arten der Maße gebraucht. Der Kramer vermißt sich, der Schneider hat sich vermessen. Bey dem Aufmessen des Getreides kann man sich leicht vermessen. Daher das Vermessen.

2. Von messen, so fern es nach einer veralteten Bedeutung sprechen bedeutet, wohin das Angels. Mot, die Rede, Sprache, mädan, sprechen, messen in beymessen, vielleicht auch in gemessen u.s.f. gehören. (1) * Sich vermessen, feyerlich versprechen, eine veraltete Bedeutung, von welcher Frisch ein Beyspiel anführet. (2) In figürlichem Verstande sagt man noch, sich vermessen, hoch betheuern. Sich vermessen und verschwören. Einen Menschen, der sich so vermißt, ist nicht leicht zu glauben. In beyden Fällen hat ver eine intensive Bedeutung. (3) Sich rühmen. a. * Eigentlich, eine gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher ver gleichfalls eine Intension zu bezeichnen scheinet. Sie kommt noch bey den Schwäbischen Dichtern vor. Des ich mih an si niht vermessen mag, Kaiser Heinrich. b. In engerer und noch gangbarer[1092] Bedeutung ist sich vermessen, mehr von sich rühmen, mehr zu leisten versprechen, als bey jemandes Kräften und Fähigkeiten möglich ist; wo ver zugleich die Bedeutung des Irrthumes, der Überschreitung des wahren Maßes hat. Die sich selbst vermaßen daß sie fromm wären, Luc. 18, 9. Du vermissest dich, zu seyn ein Leiter der Blinden, Röm. 2, 19. Die sich den Himmel anzutasten vermessen, Opitz.


Doch er hat sich vermessen,

Dich und dieß ganze Haus auf ewig zu vergessen,

Zach.


In weiterm Verstande ist sich vermessen, zu viel unternehmen, etwas unternehmen, was über jemandes Kräfte ist. Es ist besser, daß einer seines Thuns warte, dabey er gedeyet, denn sich viel vermesse, und dabey ein Bettler bleibe, Sir. 10, 30. Obwohl der Phaeton sich allzuhoch vermessen, Opitz. Es wird in dieser Bedeutung wenig mehr gebraucht; doch ist davon

Das Mittelwort vermessen noch völlig gangbar, welches mit verwegen gleichbedeutend ist, aber doch einen höhern Grad des Verwegenen mit Uebertretung seiner Pflicht, zu bezeichnen scheinet, auf eine strafbare Art verwegen. Ein vermessener Mensch, der im hohen Grade verwegen ist, das Maß seiner Kräfte in seinen Unternehmungen im hohen Grade überschreitet. Ein vermessener Anschlag. Ihr wurdet ungehorsam dem Munde des Herren, und waret vermessen, und zoget hinauf, 5 Mos. 1, 43. Wo jemand vermessen handeln würde, daß er dem Priester nicht gehorchte, 5 Mos. 17, 12. Der stolz und vermessen ist, heißt ein loser Mensch, Sprichw. 21, 24. Wenn ein Prophet vermessen ist, zu reden in meinem Nahmen das ich ihm nicht gebothen habe zu reden, 5 Mos. 18, 20. Man ist also vermessen, 1 überhaupt, wenn man weit mehr unternimmt, als das augenscheinliche Maß seiner Kräfte verstattet; und 2, wenn man vorsetzlich mehr unternimmt, als das Gesetz verstattet, durch dreiste Übertretung des Gesetzes, Widersetzung gegen seine Obern u.s.f. S. Vermessenheit.

In beyden Fällen wurde es ehedem auch in weiterer und guter, oder wenigstens gleichgültiger Bedeutung gebraucht. Im ersten Falle war vermessen ehedem auch kühn, tapfer. Der vermessene König Rudolph der tapfere, ein vermessener Held; welche Ausdrücke bey den Schriftstellern der mittlern Zeiten häufig vorkommen. Im zweyten Falle ist sich wider jemand vermessen, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno, und andern alten Schriftstellern, so viel, als sich ihm widersetzen.

In diesem ganzen zweyten Verstande durchkreuzen sich die Bedeutungen so sehr, daß es schwer zu entscheiden ist, welche die eigentliche ist, von welcher die andern als Figuren angesehen werden müßten.

3. * Von messen, so fern es ehedem auch urtheilen bedeutete, welche Bedeutung noch in ermessen herrscht. Sollich fridlich Herz wurd in im ein Zagheit gemessen, für Zagheit gehalten, ausgelegt, in einer alten Übersetzung des Livius von 1514. Bey den Schwäbischen Dichtern kommt es häufig für, sich in Gedanken vorstellen, vor. Da sie an dem morgen mines todes sick vermas, Heinr. von Morunge. Im Hochdeutschen ist es in diesem Verstande veraltet.

Das Hauptwort die Vermessung ist nur in den beyden eigentlichen Bedeutungen von messen, metiri, üblich.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1092-1093.
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