Wenden

[1486] Wênden, verb. irregul. & regul. folglich sowohl Imperf. wandte als wendete, Particip. gewandt als gewendet. Es ist:

I. Ein Activum, und bedeutet, die horizontale Richtung eines Dinges ändern, besonders, wenn es durch Bewegung um einen gewissen Punct geschiehet.

1. Überhaupt und eigentlich. Den Wagen wenden, seine horizontale Richtung verändern. Das Schiff wenden. Die Augen auf etwas wenden, sie von etwas wenden. Ingleichen als ein Reciprocum. Der Wind hat sich gewandt oder gewendet, hat seine Richtung verändert. Das Glück hat sich gewendet, verändert, begünstiget nunmehr einen andern. Der Elephant kann sich nicht wenden, ohne einen großen Umfang zu nehmen. Sich zu jemand wenden, eigentlich, seinen Körper gerade auf ihn zu richten, wenn man ihn z.B. anredet. Das Blatt wendet sich, figürlich, die Sache gewinnet eine andere Gestalt. Gott wende es zum Besten! er gebe der Sache einen guten Ausgang.

2. In einigen engern und figürlichen Bedeutungen. (1) Für umwenden, nur in einigen Fällen. Das Getreide wenden, es umstechen. Den Braten wenden, ihn am Spieße umdrehen. (2) * Für abwenden; im Hochdeutschen veraltet. Ein Unglück wenden, abwenden. Gott wende es! verhüte es. Des Reichs Schaden wenden, in den Oberdeutschen Kanzelleyen. Wende Schaden und Verdruß, Canitz. (3) Ein Kleid wenden, die inwendige Seite des Oberzeuges auswärts bringen. Handschuhe, welche sich wenden lassen. (4) Den Rücken wenden, sich entfernen, gemeiniglich nur von kleinen Entfernungen. Kaum wandte ich den Rücken, so ging der Streit an. (5) Sein Gemüth auf etwas wenden, richten. Sein Herz zu jemand wenden, seine Neigung auf ihn richten. Sein Herz hat sich von mir gewandt, er ist mir abgeneigt geworden. (6) Sich an jemand wenden, etwas von ihm verlangen. Sich mit seiner Klage an den Richter, mit einer Bitte an seinen Freund wenden. (7) Eine Unterredung wenden, die Gegenstände derselben unvermerkt bestimmen. Sie hatte völlige Freyheit, die Unterredung so zu wenden, wie es ihr am besten gefiel. (8) Mit dem Nebenbegriffe der fortgesetzten Bewegung. Sich zur Rechten, zur Linken wenden, seine Richtung ändern, und rechts oder links gehen. Er weiß nicht, wohin er sich wenden soll, wohin er seinen Weg nehmen soll. (9) Fleiß auf etwas wenden, es zum Gegenstande seines Fleißes machen. Seine Zeit, seine Kräfte auf eine Sache wenden. Viel Geld auf etwas wenden. Er will nichts darauf wenden. Ist aber der Gegenstand des Aufwandes eine Person, so bekommt sie die Präposition an. Viel Geld an jemand wenden. Ich habe viel an dich gewandt, viel Geld. (10) Den Acker wenden, ein Feld wenden, in der Landwirthschaft, einen Acker zum zweyten Mahle pflügen, vermuthlich, weil alsdann die Oberfläche eigentlich umgewandt wird; zum Unterschiede von dem Brachen oder Stürzen, dem ersten Pflügen, und von dem Rühren, dem dritten Pflügen. In einigen Provinzen wird dieses zweyte Pflügen die Wendefahre, oder Wendefahrt genannt. (11) In Franken hat das Wort wenden noch eine andere Bedeutung, nähmlich einen Weinberg anlegen; vermuthlich auch, weil der Boden vorher umgewandt oder bearbeitet wird. Am Rheine heißt solches anrotten. Endlich (12) wird noch das Mittelwort gewandt in einer besondern Bedeutung gebraucht, indem es so viel ist, als erfahren, fähig, sich in alle Fälle[1486] zu schicken, eigentlich, fähig, sich nach Maßgebung der Umstände zu wenden. Ein gewandter Mann, ein erfahrner, geschickter Mann.


Es heißt, ich läg im Sode

Und wäre nicht gewandt,

Günth.


Die in der Heilungskunst gewandt,

Sind andrer Meinung als Purgant,

Haged.


II. Ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, welche ganze Form doch im Hochdeutschen wenig mehr üblich ist. 1. Für das Activum und Reciprocum wenden und sich wenden. Mit dem Schiffe, mit dem Wagen wenden, das Schiff, den Wagen wenden. Wenn ein Schiff gegen die Fahrtlinie des andern wendet, sich wendet. Ein Acker, wo die Pferde wenden, im Pflügen sich umdrehen, müssen, S. Wendelgerte. 2. * Sich endigen; im Hochdeutschen ganz veraltet. Hier wendet meines Herren Gebieth.

Daher das Wenden und die Wendung, S. das letzte an seinem Orte besonders.

Anm. Schon im Isidor und bey allen alten Schriftstellern wendan, wentan, im Niederdeutschen wennen, bey dem Ulphilas wandja, im Schwed. vända. Winden ist genau damit verwandt. Die irreguläre Conjugation ist in diesem Worte, wie in allen übrigen ähnlichen Fällen, die älteste; die reguläre ist neuer. Ich habe in meiner Sprachlehre hin und wieder bemerket, daß die Hochdeutsche Mundart seit langer Zeit die irregulären Formen zu verdrängen, und dafür die regulären einzuführen sucht. Eben daselbst habe ich gezeigt, daß dasselbe nicht anders, als nach und nach, und nach einem gewissen dunkeln Gefühle geschehen kann; daher denn beyde Formen eine gewisse Zeit gleich üblich sind. Wenden ist eins von diesen Wörtern, welche sich unvermerkt der regulären Conjugation nähern; doch zur Zeit nur noch am häufigsten in der ersten allgemeinen und eigentlichen Bedeutung, dagegen in manchen engern und figürlichen, besonders in der 12ten, die irreguläre Form nur allein üblich ist: ein gewandter Mann, nicht ein gewendeter.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1486-1487.
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