Wenden

[694] Wenden, was ursprünglich Küstenbewohner bedeuten soll, nannten die Deutschen jene slawischen Stämme, welche im 5–6. Jahrh. längs der Elbe aufwärts bis Böhmen und an der Ostseeküste hin bis zur Weichsel sich niederließen. Man rechnete deshalb im Mittelalter dazu die Obotriten im heutigen Mecklenburg, welche Heinrich der Löwe im 12. Jahrh. beinahe ausrottete; die Polaben, Wagrier, Linonen, Pommern (s.d.) und Wilzen; Ukern, Heveller, Rhetarier in den brandenburg. Marken und von Albrecht dem Bär bezwungen; die Lusitzer in der Ober- und Nieder-Lausitz (s.d.) und die Sorben (s.d.). Einzelne Haufen derselben drangen nach Franken und bis zum Rheine vor, wurden aber von den fränk. Königen, später von den deutschen [694] Kaisern aufs nachdrücklichste bekämpft und vertrieben, niedergemacht, wenigstens gewaltsam zum Christenthume bekehrt und schwer bedrückt, welchem Loose im 12. Jahrh. alle verfallen waren und dabei in der finstersten Unwissenheit schmachteten. Dies galt auch von den zahlreichen slaw. Bewohnern der Lausitzen, die nun ausschließlich Wenden genannt werden, und erst viel später, namentlich seit der Reformation, verbesserte sich allmälig ihre Lage. Sie haben zum Theil eigne Sitten und Sprache, für die man ihnen während des dreißigjährigen Krieges die deutsche aufzwingen wollte, bis auf den heutigen Tag bewahrt und ihre Zahl beläuft sich in Sachsen noch auf 30,000. Auch die altenburgischen Landleute hegen noch manche wendische Sitte, haben aber schon seit dem 14. Jahrh. der wendischen Sprache entsagt. Andere wendische Stämme, jedoch lieber Winden genannt, hausen in Steiermark, Kärnten und Krain, und in ganz Deutschland rechnet man über 800,000 Menschen, bei denen mehr und minder noch wendische Sitten, Tracht und Sprache angetroffen werden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 694-695.
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