Wollust, die

[1610] Die Wollust, plur. doch nur von mehrern Arten, die -lüste, welches sowohl von der Empfindung, als von der Begierde darnach, und endlich von dem Gegenstande gebraucht wird. 1. Von der Empfindung, da es einen hohen Grad des sinnlichen Vergnügens bedeutet, und von mehrern Arten desselben auch den Plural verstattet. (1) Im engern Verstande bezeichnet es hier die höchsten Grade jedes ungeordneten sinnlichen Vergnügens, besonders dasjenige, welches mit der Vermischung beyder Gèschlechter verbunden ist. Der Wollust nachhängen. Sich allen Wollüsten ergeben, sich in allen Wollüsten wälzen. (2) In weiterer Bedeutung, der höchste Grad eines jeden, selbst erlaubten und mehr geistigen Vergnügens. Sein ganzes Herz zerfloß in Wollust. O was ist ein Umgang mit großen Herzen für eine Wollust! Gell. Seine süßeste Wollust ist, andern Gutes zu thun. Es sind Thränen der Wollust, die meine ganze Seele vergnügen, Gell. Die wahre Freude läßt den Menschen alle Wollüste des Lebens schmecken, alle die rührenden Wollüste, welche das Laster nicht kennet. Mir scheinet diese weitere Bedeutung ein wenig unschicklich zu seyn, weil doch dem Worte immer etwas von der ungeordneten Sinnlichkeit anklebt, welche in der folgenden zweyten Bedeutung noch merklicher ist. 2. Die ungeordnete Neigung zu den höchsten Graden des sinnlichen Vergnügens, besonders zu demjenigen, welches aus der unerlaubten Vermischung der Geschlechter bestehet; ohne Plural. In diesem Verstande ist es oft ein anständiger Ausdruck für das niedrige und harte Geilheit. Speisen, welche die Wollust erregen. Der Wollust pflegen, nachhängen. 3. Ein Gegenstand, welcher den höchsten Grad des sinnlichen Vergnügens gewähret; eine nur in den neuern Zeiten[1610] eingeführte Bedeutung. Es war eine Zeit, da ihr Nahme die Wollust meines Ohres war.

Anm. Das Wort lautet schon im neunten Jahrhunderte Wollust, indessen gebraucht Kero noch Wunilust, Wonnelust, dafür. Es ist von wohl und Lust zusammen gesetzt, vermuthlich zu einer Zeit, da wohl noch als ein Adjectiv oder Substantiv üblich war, denn im Tatian heißt die Wollust nur Wolo. Wenigstens ist es ein sehr altes Wort, und dieses hohe Alter erhellet auch aus dem Baue desselben. In den ältesten Zeiten befolgte man bey der Ableitung und Zusammensetzung der Wörter die Regel, daß, wenn auf diese Art zwey Consonanten zusammen trafen, der vorher gehende Vocal geschärft wurde, weil dieser Satz eine der Grundregeln der Deutschen Aussprache ist. Wohl war für sich allein gedehnt; allein in der Verbindung mit Lust ward es geschärft, weil zwey l auf das o folgten, folglich Wóllust, da man denn zum Zeichen dieses geschärften Tones, nachmahls auch das h wegließ, ungeachtet die Abstammung es erforderte. Eben dieser alten Analogie folgen vḯerte, Vḯertel, von vier, Bürde von bären, tragen, díeß von dieses, fértig, Fúrt, von fahren, größte und groß, wáhrlich von wahr und hundert andere mehr. Da man in der Folge sahe, daß durch die Befolgung dieser Regel die nächste Abstammung zu sehr verdunkelt wurde, so verließ man sie, und opferte der Deutlichkeit und Klarheit die andere Regel auf, nach welcher zwey Consonanten den vorher gehenden Vocal schärfen. Allein, die einmahl gangbaren Wörter mußte man behalten, und so behielt man auch Wollust, ungeachtet es wider die neuere Analogie gebildet ist. In andern Wörtern behielt man die nächste Abstammung wenigstens in der Schrift bey, wenn gleich die Aussprache sie verlohren hatte, und so schreibt man noch wahrlich, vierte, Viertel, vierzig, dieß, u.s.f. ob man gleich alle diese Wörter geschärft, und nicht gedehnt spricht. Wenn zwey entgegen gesetzte Analogien zusammen treffen, so muß freylich die eine weichen, und das macht denn die Ausnahmen in den Sprachlehren.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1610-1611.
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