Wurm, der

[1630] Der Wurm, des -es, plur. die Würmer, Oberd. und in der höhern Schreibart, die Würme, Diminut. das Würmchen, Oberd. Würmlein.

1. Eigentlich, ein kriechendes Insect ohne merkliche Füße, in welchem Verstande dieses Wort eine allgemeine Benennung aller derjenigen Insecten ist, welche sich ohne merkliche Füße auf dem Bauche fortbewegen, z.B. der Maden, Regenwürmer, Seidenwürmer, Spulwürmer, Schlangen u.s.f. (a) Im eigentlichsten Verstande. Sich krümmen wie ein Wurm. Von den Würmern verzehret werden. Auch das friedlichste Würmchen beißt, wenn man es treten will, Sonnenf. (b) In engerer Bedeutung nennt man oft manche besondere Arten nur schlechthin Würmer, wohin besonders die Würmer im menschlichen Leibe, der Spuhlwurm, Fadenwurm, Bandwurm, Madenwurm u.s.f. gehören. Auch die Schlangen und manche Arten derselben heißen im gemeinen Leben oft nur Würmer. (c) In weiterm Verstande werden oft auch manche andere Arten von Insecten, besonders manche Käferarten, im gemeinen Leben Würmer genannt; z.B. der Johanniskäfer, welcher auch Johanniswurm heißt; der Rindenkäfer, Dermestes Pimperda Linn. ingleichen der Kornwurm, welcher oft auch eine Käferart ist, u.s.f. (d) Kinder, im mitleidigen Verstande. Die armen Würmer.

2. Im figürlichen Verstande. (a) Eine Krankheit, welche von Würmern herrühret, oder doch herrühren soll, wird oft im Sigular der Wurm genannt. So ist der Wurm eine Krankheit der Bäume, wenn sie von dem Rindenkäfer verderbet werden. Der Wurm, von welchem die Hunde toll werden sollen, daher man ihnen denselben zu nehmen, oder zu schneiden pflegt, ist eigentlich kein Wurm, sondern eine Nerve, welcher die Zunge mit dem untern Gaumen verbindet. Der Wurm der Pferde, Franz. Farcin, ist eine Schärfe der Säfte, welche sich durch kleine braunrothe Bäulen an verschiedenen Theilen äußert, und ein Vorbothe des Rotzes ist. Von ähnlicher Art ist der Wurm des Rindviehes, welcher sich in den Lederwurm und Knochenwurm theilet, S. diese Wörter. Der Wurm am Finger, Lat. Paronychia, Panaritium, ist ein schmerzhafter Zufall an den äußern Theilen der Finger, welcher von einer stockenden Feuchtigkeit herrühret; Nieders. Fiek, Aal, Dauworm. Der fressende Wurm, Lat. Herpes, ist ein um sich fressendes Geschwür in der äußern Haut. In allen diesen Fällen wird es nur im Singular allein gebraucht. (b) Im moralischen Verstande sagt man, ein Mensch habe einen Wurm, oder, er habe Würmer im Kopfe, wenn er sich von verworrenen Vorstellungen zum Nachtheile deutlicher bestimmen lässet, thöricht, unverständig handeln, wofür man in einigen Gegenden auch sagt, einen Schwarm, einen Schuß haben.


Ein Spötter kitzle sich, ich gönn ihm seinen Wurm,

Günth.


Da man denn nach einer noch weitern Figur auch wohl einen solchen Menschen einen Wurm zu nennen pflegt. In einem andern Verstande ist der Wurm ein nagender Kummer. Ich sehe, daß in ihrem Herzen ein geheimer Wurm naget, Weisse. Noch lebt der Wurm, der meine Seele durchnagt, eben ders. Der Trope ist eigentlich biblischen Ursprunges, scheint aber nicht edel genug, weil sich immer der Nebenbegriff der vorigen Bedeutung mit einmischet. (c) Bey den Buchdruckern ist der Wurm die kurze Anzeige des Titels, und bey den Werken, die aus mehrern Theilen bestehen, auch des 1sten, 2ten u.s.f. Theiles[1630] unten auf jeder ersten Seite eines Bogens; vielleicht verderbt aus Norm.

Anm. 1. Der Plural Würme und Würmer sind bloß der Mundart nach verschieden, indem jener der Oberdeutschen, dieser aber der Hoch- und Niederdeutschen geläufiger ist. Opitz, Bluntschli und andere Oberdeutsche Schriftsteller haben beständig Würme. Daher man irret, wenn man den Unterschied des Plurals auf einen Unterschied in der Bedeutung gründen will. Da die höhere Schreibart der Deutschen in hundert andern ähnlichen Fällen ihre Form gern aus der Oberdeutschen Mundart entlehnet, wenn sie mehr Kürze und Würde haben, so gebraucht sie auch zuweilen den Plural Würme, ohne Unterschied der Bedeutung, wobey sie doch wohl nicht leicht Gelegenheit haben wird, der Würmer im menschlichen Leibe zu gedenken.

Anm. 2. Schon im Ulphilas Waurm, bey dem Notker Wurm, bey beyden von einer Schlange, im Nieders. und Engl. Worm, im Dänischen und Schwed. Orm, im Latein. Vermis. Es ist eine Nachahmung des schwachen verworrenen Lautes, welchen eine Menge Würmer in der Bewegung machen, S. Wurmen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1630-1631.
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