An die Leser.

Vorreden haben großen Theils das Schicksal – nicht gelesen zu werden; daß der unsrigen kein ähnliches widerfahren möge, ist wohl ein sehr verzeihlicher Wunsch, so wenig wir auf die Erfüllung desselben hoffen dürfen. In der That wünschten wir so gern, unsern Lesern manches bei Gelegenheit dieser Fortsetzung zu sagen, und wünschten doch auch so gern, auf keine Weise ihnen Ueberdruß oder Langeweile zu verursachen, und uns so jenes Schicksal zuzuziehen. – Doch vielleicht heißt sie das Interesse, das sie auf eine uns so schmeichelhafte Art zeither für unser Werk hatten, auch hier ein wenig verweilen.

Es sei fern, auch nur die leiseste Ahnung von Argwohn hier blicken zu lassen, als ob eine gewisse [3] Neugierde – die eigentlichen Ursachen, weßhalb sich die Fortsetzung dieses Werks so lange verzögert habe, zu erfahren – sich hierbei ins Spiel mischen dürfte. Was könnten Sie auch in der Aufzählung aller der gewiß höchst unangenehmen Hindernisse, die sich hauptsächlich dem Verleger entgegenstellten, für eine Befriedigung finden? und würden sie, so bündig sie auch dargestellt und bewiesen werden könnten, nicht immer von Ihnen unter die Rubrik gewöhnlicher Entschuldigungen verwiesen werden? – Kurz, Sie überzeugen sich jetzt durch die wirkliche Erscheinung von dem ernstlichen Willen, von dem festen Vorsatz, das Werk nun ununterbrochen fortzusetzen. Möchte Sie diese Erscheinung auch zugleich von unserm Eifer überzeugen, auf jede Art, so viel es nur in unsern Kräften steht, immer mehr einem gewissen Grade von Vervollkommnung uns zu nähern, und Sie in der Fortsetzung dieses Werks – wenigstens nicht unangenehmer, als es vorher geschehen, zu unterhalten. Hierüber nun noch einige Worte!

Gewiß ist unsern gütigen Lesern nicht entgangen, was selbst auch mehrere vortheilhafte Beurtheilungen [4] der spätern Theile in gelehrten Journalen sowohl als durch Privatbriefe bemerkt haben, daß der bei der ersten Entstehung dieses Werks zum Grunde gelegte Plan in mancher Hinsicht erweitert worden ist. Ob bei dieser Erweiterung oder Veränderung der Leser gewonnen hat – dieß dürfen wir freilich nicht entscheiden. Es ist so schwer, den eigentlichen Grad zu bestimmen, bis zu welchem das Interesse der Unterhaltung – für deren Beförderung doch hier hauptsächlich gesorgt werden soll – steigen kann. Und was ist nicht alles in unsern gegenwärtigen, an seltenen Ereignissen so schwangern, Zeiten für diese gesellschaftliche Unterhaltung wichtig geworden! Wie viel Menschen suchen nicht jetzt über Dinge Belehrung, die sie vorher kaum nennen hörten; und wer mag nun wohl die Gränze bestimmen, wo diese zu suchende und zu gebende Belehrung aufhören soll? – Wenn indessen in den neuern Heften viele Gegenstände in so mancher Hinsicht eine nähere und umständlichere Darstellung erhalten haben, wenn z. B. über manchen auch jetzt noch wichtigen und bedeutenden Staat nähere historische und statistische Nachrichten gegeben worden; so dürfen wir – wenn anders [5] unsere eigne Ueberzeugung und selbst die Privat-Urtheile, die wir hier und da von so manchen schätzbaren Lesern und Leserinnen darüber empfangen haben, uns nicht ganz täuschen – eher die Billigung und Zufriedenheit unserer Leser als einen Tadel deßhalb erwarten, da doch gewiß der größere Theil so gern, wenn auch nur in schwachen Umrissen, den Ursprung, den allmähligen Fortgang und das Steigen – vielleicht auch das Fallen – eines für die Zeit wichtigen Staats flüchtig zu übersehen wünschen.

Sollte aber mancher Artikel, oder in dem Artikel selbst manche der neuesten und wichtigsten Ereignisse, vermißt werden – wir bescheiden uns schon ohnehin, daß dieses Werk keineswegs vollkommen genannt werden kann –, nun so dürfen wir wenigstens mit einiger Zuversicht auf die unmittelbar nach der Beendigung zu liefernden Nachträge hinweisen. Auch hierüber sei es erlaubt, noch einige Worte hinzuzusetzen.

Schon der successive Gang eines solchen Werks bringt es mit sich, daß binnen der Zeit, in welchen die letztern Theile den erstern nachfolgen können – [6] mag auch der Zwischenraum noch so kurz sein – die wichtigen Veränderungen, die sich unterdessen ereignet haben, öfters ganz andere Ansichten der Dinge und Begebenheiten gewähren. Es würde überflüssig sein, hier viel Erläuterungen aufzuführen; nur Eine mag statt aller dienen. In dem Buchstaben Bekonnte damahls, als der erste Theil unsers Lexikons erschien, noch keine Ahnung von dem Helden des Tages sein, der seitdem die ganze Welt in Erstaunen und – in banges Erwarten der Dinge, die noch kommen sollen, gesetzt hat. Und welche Veränderungen der Reiche und Staaten, welche neuen Verhältnisse in Rücksicht der Regenten und Regierungsverfassungen sind seitdem eingetreten! Alles das bedarf in den künftig zu liefernden Nachträgen Zusätze, Abänderungen, Erläuterungen, Verbesserungen etc. Aber selbst auch dieser Wechsel giebt, wenn wir nicht irren, gewisser Maßen für jene Nachträge ein eignes Interesse. Es ist unterhaltend und angenehm, zu sehen, wie so manches Land vor zehn Jahren beschaffen war und wie es jetzt ist; es ist angenehm, mit einem kurzen Ueberblick das, was damahls noch in der dunkeln Zukunft ruhte, und worüber unser Ahnungsvermögen sich schlechterdings [7] keinen Aufschluß geben konnte, nun entwickelt da stehen zu sehen, zu erfahren, daß man sich im Voraussehen dieser und jener Dinge nicht getäuscht, oder auch, daß man die Enthüllung sich ganz anders gedacht habe. Es ist angenehm und belehrend, bei manchem großen Mann – sei er nun Held oder Staatsmann, Gelehrter oder Künstler – der damahls erst seine große, Aufsehen erregende Laufbahn begann, nun die großen Erwartungen in Erfüllung gebracht zu sehen, die man von ihm hatte, oder auch so manchen wichgen Mann durch die letzten Perioden seines nun geendeten Lebens zu begleiten, und das Resultat seiner um die Menschheit erworbenen Verdienste – von welcher Art sie auch sein mögen – aufgestellt zu sehen. Kurz, es gewährt Vergleichungen, die gewiß jedem für Unterhaltung gestimmten Individuum wichtig, angenehm und belehrend zugleich sein müssen.

Wenn denn nun aber jener erwähnte Wechsel der Dinge uns überhaupt belehrt, daß nichts auf unserm Erdenrund vollkommen oder beständig sein könne, so muß dieß ja doch wohl auch billig um so eher eine Apologie für die mancherlei Unvollkommenheiten[8] und Fehler unsers Werks sein, die nun einmahl schlechterdings nicht zu vermeiden sind. Billige Leser werden auch schon sich selbst sagen, wie unmöglich es ist, überall befriedigende Auskunft zu erlangen, wie z. B. bei dem jetzigen steten Wechsel der Länder und ihrer Herren, bei dem mannigfaltigen Tauschen, es fast ganz unmöglich ist, geographische Bestimmtheit zu beobachten, wie von manchem berühmten und wichtigen Manne die Nachrichten über sein Leben und seine Verhältnisse oft so verschieden und widersprechend sind; aber sie werden auch vielleicht es nicht verkennen, daß wir uns eifrigst bemüht haben, die Quellen nach unsern besten Kräften aufzusuchen, aus denen wir ihnen wenigstens das nach unserer Ueberzeugung Bessere und Richtigere darzureichen vermögend waren.

So viel hätte ich Ihnen, verehrungswerthe Leser und Leserinnen, in meinem und im Namen derer Freunde, die so thätig durch ihre Theilnahme dieses Werk unterstützt haben, zu eröffnen. Von Seiten des Herrn Verlegers kann ich nunmehr wohl mit eben der Zuversicht, mit welcher ich Ihnen von meiner Seite den heißesten Eifer [9] für die Beendigung angelobt habe, ebenfalls hinzusetzen, daß das Versprechen, ungehindert die Fortsetzung und Beendigung des Werks zu bewirken, nicht mehr bloßes Versprechen bleiben soll, und daß die so lange auf die Probe gestellte Nachsicht unserer Leser und Leserinnen für die Zukunft keine Erfahrungen der Art mehr machen soll.

Leipzig, in der Ostermesse 1806.

Der Herausgeber.[10]

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 0,XI11.
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