Die Dissidenten

[353] Die Dissidenten, a d. Lat. heißen in Pohlen alle, die der herrschenden katholischen Religion nicht zugethan sind, aber doch geduldet werden; also Lutheraner, Reformirte, Griechen, Armenier, mit gänzlichem Ausschluß der Wiedertäufer, Socinianer und Quäker. Der Name Dissidenten kam jedoch erst in dem jetzigen Jahrhunderte (1736) auf. Schon bei Luthers Lebzeiten fand die Reformation in Pohlen Eingang, wurde aber unter Siegmund Augusts Regierung (1548–72) so sehr ausgebreitet, daß sehr viele vom Volke, und sogar die Hälfte [353] des Senats und mehr als die Hälfte des Adels lutherisch oder reformirt waren. Der König war ihr Beschützer, und die Nichtkatholiken bildeten nun eine eigne Kirche: sie erhielten von ihm das Recht zu allen Ehrenämtern und wurden den Katholiken ganz gleich gemacht; jedoch beging man den großen Fehler, die Verhältnisse beider Religionen nicht bestimmt festzusetzen, und veranlaßte dadurch die blutigsten Zwiste. Ihre nachher mehrmals bestätigten Rechte wurden ihnen nach und nach entzogen, besonders 1717 und 1718 unter Augusts II. Regierung, wo man ihnen das Stimmrecht auf dem Reichstage nahm. Noch mehr verloren sie einige Jahre später (1733) unter August III. und auf dem Pacificationsreichstage (1736) wurde sogar noch ein altes Gesetz wiederholt, vermöge dessen jeder König katholisch sein mußte. Die Dissidenten benutzten die Thronbesteigung des letzten Königs Stanislaus Poniatowsky zur Ausführung ihrer Beschwerden, und wurden, als sie sie auf dem Reichstage 1766 anbrachten, von Rußland, Dännemark, Preußen und England unterstützt. Rußland, welches diese Gelegenheit benutzte, seinen Einfluß in die Pohlnischen Angelegenheiten zu erweitern, nahm sich ihrer besonders an, und brachte 1767 einen Tractat zu Stande, durch den sie mit der katholischen Partei gänzlich gleich gemacht wurden; auch hob der Reichstag von 1768 die ihnen nachtheiligen Schlüsse auf. Da aber der Krieg mit den Gegenconföderationen ausbrach, und das Reich getheilt wurde, so ging nichts in Erfüllung, bis endlich die Dissidenten im Jahr 1775 alle Freiheiten wieder bekamen, mit Ausnahme des Rechts, auf Senator- und Ministerstellen Anspruch zu machen. Bei der Einnahme Pohlens in den neuesten Zeiten hat man in Rücksicht der Religion nichts wesentliches geändert.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 353-354.
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