Die Physik

[432] Die Physik (die Naturlehre, Naturwissenschaft1 ist die Wissenschaft der gesammten körperlichen Natur. Je nachdem die Wahrheiten der Physik aus Prinzipien erkennbar sind, oder aus der Erfahrung geschöpft werden, wird diese Wissenschaft a) in die reine Physik (rationale Körperlehre) und b) in die Erfahrungs- oder empirische Physik eingetheilt.

Die reine oder rationale (d. h. aus unserm Verstandesgebrauch geschöpfte) Physik, um welche sich Kant unsterbliche Verdienste erworben und dieselbe zuerst begründet hat, heißt darum rational, weil sie ihre Erkenntnisse von Prinzipien ableitet. Diese ersten Prinzipen, welche nicht wieder Erkenntnisse aus Begriffen sind, sind der ursprüngliche Verstandesgebrauch selbst, auf welchen, in der rationalen Physik, der Begriff von Materie zurückgeführt wird.

Die Erfahrungs- oder empirische Physik betreffend, so ist zu bemerken, daß fast jeder Lehrer derselben die Theile dieser Wissenschaft auf eine andre Art und in einer andern Ordnung aufführt. Ueberhaupt sind [432] dieselben oft gar nicht darüber einig, ob sie eine Disciplin in die Physik aufnehmen sollen oder nicht, welches bei einer Wissenschaft, wie die Lehre der gesammten körperlichen Natur ist, in welche man vielleicht zwei Drittheile aller menschlichen Wissenschaften ziehen kann, gar kein Wunder ist. Unter mehreren Eintheilungen der Erfahrungs- Naturlehre scheint indeß diejenige nicht unzweckmäßig zu sein, nach welcher diese Wissenschaft (zu Folge der angenommenen drei Reiche der Natur) 1) in die Betrachtung des Mineralreichs (oder der leblosen Körper, als Erden, Steine, Metalle), 2) in die Betrachtung des Pflanzenreichs, 3) in die Betrachtung des Thierreichs eingetheilt wird.

Uebrigens sind mehrere Theile der Physik, z. B. die Chemie, die Mineralogie, welche anfänglich ganz kurz gefaßt werden konnten, durch den Eifer neuerer Naturforscher zu eigenen ansehnlichen Disciplinen erwachsen. Da indeß der Einfluß der angeführten Kenntnisse in die Physik zu merkbar ist, so hat man die nöthigen Vorkenntnisse aus denselben (nach Karstens und Lichtenbergs Beispiel) in den eigentlichen Umfang der Physik aufgenommen.

Was endlich die Geschichte der Naturwissenschaft anlangt, so wurde dieselbe schon bei den Griechen systematisch behandelt: allein zur reinen Physik war die Griechische Philosophie noch nicht reif genug; und um es weit in der empirischen Naturlehre zu bringen, hatte man noch eine zu geringe Anzahl von Erfahrungen gemacht. Indessen ist unter ihren Meinungen manches, was man in neuern Zeiten wahr befunden oder wieder angenommen hat; so war ja selbst die Copernicanische Weltordnung schon ein Gedanke der Pythagoräer. Unter den physischen Schriften der Römer sind vorzüglich des ältern Plinius 37 Bücher von der Naturgeschichte schätzbar, ein reicher Schatz physicalischer Gelehrsamkeit – Trotz der Barbarei des mittlern Zeitalters wurden dennoch in demselben einige wichtige Entdeckungen, z. B. der Magnetnadel, der Brillen, gemacht; auch gab es einige gründliche Naturlehrer, z. B. Roger Baco. Indessen machte die Physik vorzüglich seit den drei letzten Jahrhunderten ihre größten Fortschritte, [433] und das gegenwärtige übertrifft die beiden vorhergehenden an wichtigen Bereicherungen dieser Wissenschaft.


Fußnoten

1 Diese Wissenschaft darf nicht mit der Naturgeschichte verwechselt werden, unter welcher mau bloß die Beschreibung der Natur versteht.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 432-434.
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