Pythagoras

[505] Pythagoras, ein berühmter alter Philosoph, der erste, der sich selbst den Namen Philosoph beigelegt. Nur Schade, daß beinahe alles, was wir von ihm wissen, in Dunkelheiten und Widersprüche gehüllt ist! Mehrere haben ihn sogar als einen Zauberer und Betrüger dargestellt; und man hat unzählige Mährchen von ihm erdichtet, die man oft kaum von dem Wahren trennen kann. – Er war wahrscheinlich aus der Insel Samos gebürtig; allein die Zeit seiner Geburt wird von den Alten selbst verschieden angegeben (noch verschiedner von den Neuern), so daß wir bloß mit Wahrscheinlichkeit wissen, daß er zu Ende des fünften Jahrhunderts vor christlicher Zeitrechnung oder im sechsten gelebt habe. Nachdem er den ersten Unterricht vom Weltweisen Pherecydes empfangen, begab er sich auf Reisen, sich Kenntnisse zu erwerben. Am merkwürdigsten ist seine Reise nach Egypten, wo er sich 22 Jahre aufhielt und sich der Beschneidung unterwarf. Dieser Gebrauch war nur bei dem Orden der Priester eingeführt; und er mußte sich demselben unterwerfen, um in ihrer geheimen Weisheit unterrichtet zu werden. »Doch – sagt Herr Eberhard, den wir hier vorzüglich benutzen – hat er von den Egyptischen Priestern schwerlich einige wissenschaftliche Kenntnisse, und am wenigsten mathematische, erhalten können, da er selbst erst einen Lehrsatz erfinden mußte – den so genannten Pythagoräischen Lehrsatz –, der zu den ersten in der Geometrie gehört, und auf den ein so großer Theil dieser Wissenschaft sich gründet. Die Kenntnisse, die er von ihnen mitgebracht, sind also ohne Zweifel politische und diätetische gewesen.«

[505] Was nun des Pythagoras eigne Philosophie betrifft, die er nach der Rückkehr von seinen Reisen lehrte, so ist dieselbe die erste, worin wir außer den sinnlichen Grundursachen der Theile und Erscheinungen der Welt auch unsinnliche antreffen. Was aber seine Philosophie von jeder andern unterscheidet, ist die ganz eigne Idee, dieselbe gänzlich auf Zahlen zu gründen. Um anzugeben, wie aus der ersten ungeordneten Materie die wohlgeordnete Welt entstanden, nahm er eine gewisse Uebereinstimmung der untergeordneten Materie und des ordnenden Principii mit den Eigenschaften der Zahlen an. – Auf diese Zahler gründete er übrigens nicht bloß seine speculative Philosophie, sondern auch seine Seelen- und Sittenlehre – letztere war sehr streng; – ja er gerieth durch seine Schlüsse dahin, zu behaupten, daß die Seele selbst eine Zahl sei. – Von den übrigen Wissenschaften, die er lehrte, hier zu sprechen, würde zu weitläuftig werden.

Pythagoras ließ sich nach seiner Zurückkunst in Croton (einer Stadt in Großgriechenland) nieder; die übrigen berühmtesten Griechischen Staaten fand er seinen Grundsätzen und Absichten nicht gemäß. Und hier zu Croton war es, wo er die Idee und den Plan dieses Ordens ohne Zweifel von den Mysterien Egyptens entlehnte.

Uebrigens hatte die Pythagoräische Schule außer der wissenschaftlichen (oder esoterischen) Philosophie noch eine populäre (oder esoterische). In dieser war sowohl die Theologie als die Psychologie und Moral mehr dem öffentlichen Glauben und dem gemeinen Verstande angemessen. Sie enthielt die Lehre von Einem höchsten Gott, von den unsterblichen Göttern, von den Dämonen und Heroen. Sie legte der Seele, deren Präexistenz sie lehrte, drei Hauptkräfte bei, und theilte die Tugenden in vier Haupttugenden.

Am meisten hat er sich dadurch bekannt gemacht, daß er den berühmten Orden der Pythagoräer stiftete, den man auch die Italiänische Schule der Philosophen nennet. Er vereinigte nehmlich diejenigen seiner Schüler, welche die gehörigen, nicht [506] leichten Prüfungen ausgestanden hatten und von entschiedner Rechtschaffenheit waren, in eine durch die engste Freundschaft verbundne (sie wohnten sogar in einem Hause zusammen) geheime Gesellschaft, die auch nach geendigtem Unterrichte in der Entfernung fortdauerte, und sich in dem größten Theile des untern Italiens und selbst in Griechenland sehr ausgebreitet hatte. Allein er wurde schon vor dem Tode des großen Stifters derselben, welcher wahrscheinlich zu Metapontus in einem hohen Alter starb, oder doch wenigstens nicht lange darnach, durch ernstliche Verfolgungen fast ganz zerstört. Der Orden stand nachher unter der Aufsicht der Theano, der Gattin unsers Philosophen, dauerte aber nicht lange. Es ist daher ganz falsch, wenn Einige den Ursprung der erst spät in den neuern Zeiten entstandenen Freimaurer (s. diesen Art.) vom Pythagoras herleiten wollen.

Die Mitglieder dieser Gesellschaft mußten die sehr strengen moralischen und diätetischen Vorschriften ihres Lehrers aufs genaueste erfüllen, häufige gymnastische Uebungen anstellen, und überhaupt (einzeln sowohl als gemeinschaftlich) ihre Vervollkommnung auf alle Art zu befördern suchen. Diese Verbindung war daher von der edelsten Art.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 505-507.
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