Romulus

[329] Romulus, der Stifter des kleinen Römischen Staats, welcher nachher die Weltherrschaft erlangte, lebte in der Mitte des achten Jahrhunderts vor christlicher Zeitrechnung in Alba Longa, einem kleinen Königreiche in Latium, oder der südwestlichen Küste des heutigen Kirchenstaats. Seine Mutter, eine Vestalische Priesterin, Namens Rhea Sylvia, verletzte das Gelübde der Keuschheit, und die Folge davon war, daß Romulus und Remus, zwei Zwillingsbrüder, geboren wurden. Die Fabel, die überhaupt in der Geschichte des Romulus sehr oft an die Stelle der Wahrheit tritt, giebt den Gott Mars (s. dies. Art.) als ihren Vater an, und sagt zugleich, daß beide, nachdem sie in der Wüste am Ufer der Tiber ausgesetzt worden, von einer Wölfin gesäugt und so erhalten worden wären. Sie wurden aber wahrscheinlich heimlich von einem Landmann oder Hirten, Faustulus, erzogen. Beide waren aus königlichem Geblüte; denn ihr Großvater, Numitor, war König des kleinen Alba Longa, hatte aber durch seinen niederträchtigen jüngern Bruder, Amulius, der [329] auch nachher die Aussetzung der beiden Bastarden befahl, sein Reich verloren. Kriegsthaten und Räubereien waren die jugendliche Beschäftigung beider Prinzen; und als einst bei einer solchen Gelegenheit Remus gefangen genommen wurde, offenbarte sich das Geheimniß von ihrer Geburt. Romulus sammelte sogleich ein kleines Heer, entthronte und ermordete den Amulius, gab seinem Großvater seine Länder wieder, und beschloß nun, mit seinem Bruder selbst eine Stadt am Ufer der Tiber zu bauen, oder, wie Andre sagen, zu erweitern (753 vor christlicher Zeitrechnung, nach andern Chronologien, die aber nicht so allgemein angenommen worden sind, 754 oder 752). Diese Stadt war das in der Folge so berühmte Rom, welches auf sieben Hügeln errichtet wurde. Doch schon bei Legung des Grundes befleckte sich Romulus mit Bruderblut; denn er ermordete in einem Streite seinen Bruder Remus. Er berief, um seine neue Stadt zu bevölkern, Flüchtlinge aus allen Staaten Italiens zu sich und sie strömten ihm in solcher Menge zu, daß er bald die benachbarten kleinen Königreiche unterjochen konnte. Auch vereinigte er den benachbarten, schon etwas beträchtlichen Staat der Sabiner mit dem seinigen, wozu die Veranlassung sonderbar genug und folgende war: Es fehlte dem neuen aus lauter waffenfähigen Flüchtlingen bestehenden Staate fast gänzlich an Weibern. Er stellte daher öffentliche Spiele an, bei denen sich die neugierigen Sabiner mit ihren Weibern und Töchtern häufig einfanden. Auf ein gegebnes Zeichen sielen die Römer unter sie, raubten so viele Frauenzimmer, als sie nur bekommen konnten, und nöthigten sie mit Gewalt zur Ehe. Ein heftiger Krieg, der sich darüber entspann, endigte sich auf die dringendsten Bitten der Weiber mit der Vereinigung beider Staaten. Die ungemeine Tapferkeit des Romulus machte ihn zum Schrecken aller seiner Nachbarn, und das Glück begünstigte jede seiner Unternehmungen; aber beides trug dazu bei, ihn zu einem übermüthigen Despoten zu machen: und wahrscheinlich fiel er auch selbst als Opfer dieses Despotismus. denn er war einst, im 37. Jahre nach Roms Erbauung, nach einem heftigen Ungewitter auf einmahl verschwunden. Man gab zwar vor, daß er als unsterblicher Sohn des Mars vor den Augen der Senatoren lebendig in den Himmel gehohlt worden sei; aber man vermuthet mit [330] vielem Grunde, daß eben diese Senatoren ihn heimlich aus dem Wege räumten. – Er ist noch als Gesetzgeber merkwürdig, da er viele sehr weise und ganz dem rohen Zustande seiner Bürger angemeßne Gesetze über Religion, Mord, Ehen, väterliche Gewalt, Erziehung u. s. w. gab, die zum Theil in die zwölf Tafeln aufgenommen wurden, und sich sehr lange erhielten. Noch wichtiger ist aber die Constitution, die er dem neuen Staate gab. Monarchie war die Grundlage; und sie wurde durch Aristokratie, mehr aber durch Demokratie beschränkt. Der König selbst hatte das Commando im Kriege, das Recht, Volksschlüsse zu bestätigen, die vollstreckende Gewalt, und größten Theils auch die richterliche und aufsehende; der Senat oder Rath stand ihm als Rathgeber zur Seite, konnte aber nur in Sachen, die ihm vom Könige freiwillig vorgetragen wurden, entscheiden, und bestand aus 100 der weisesten und angesehnsten Römer (patres), denen nach der Vereinigung mit den Sabinern noch eben so viele Sabiner hinzugefügt wurden (conscripti: Neuangenommene). Unter Julius Cäsar stieg dessen Zahl auf 800, und blieb seit dem Augustus 600. Sie machten einen Erbadel aus, und wurden nachher mächtiger; auch wurden damals die höchsten Staatsbeamten (Magistratspersonen) aus ihnen gewählt. Das Volk war endlich in drei Haupttheile oder Tribus, und diese drei zusammen in 30 Curien oder Sectionen getheilt, und hatte das Recht, eigne Volksversammlungen oder Comitien zu halten, in welchen nach Curien votirt wurde, und alles nach Stimmenmehrheit ging. Auf diesen Versammlungen übten sie folgende Rechte aus: daß sie die Magistratspersonen wählten, Krieg und Frieden schlossen, und Gesetze und Schlüsse, die aber ohne königliche Bestätigung nicht galten, abfaßten. Doch waren diese drei Gewalten bei weitem noch nicht genau bestimmt; und Tarquinius Superbus, der siebente und letzte König Roms, veranlaßte dadurch, daß er die monarchische Gewalt auf Unkosten der beiden übrigen erhob, den Umsturz der königlichen Macht. Es entstand nun eine mehr aristokratische als demokratische und weit genauer bestimmte Verfassung; aber bald darauf siegte wieder die Demokratie, da das Volk durch muthvolle Forderung seiner Rechte einen Grundpfeiler der Adelsherrschaft [331] nach dem andern über den Haufen warf. (Die übrigen Schicksale dieses von Romulus gestifteten Reichs s. m. in d. Art. Rom.)

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 329-332.
Lizenz:
Faksimiles:
329 | 330 | 331 | 332
Kategorien: