Die Wasserprobe

[384] Die Wasserprobe, eins der berühmtesten Gottesurtheile oder Ordalien bei den alten Deutschen, das man auch hin und wieder in Asten häufig trifft (s. Ordalien), ist doppelt: 1) die Probe des kalten Wassers. Man setzte nehmlich in Deutschland eine wegen Verbrechen verdächtige, oder in bürgerlichen Sachen verklagte Person, im Mangel an Zeugen und andern Beweismitteln, aufs Wasser, entweder in einem tiefen Fasse, oder auf den Fluß, gewöhnlich mit gebundenen Händen und einem Strick um den Leib, beobachtete dabei viele Cerimonien, und hielt dieselbe für schuldig, sobald sie auf der Oberfläche schwamm; denn man glaubte, daß das Wasser keinen Schuldigen aufnehme (wiewohl in manchen andern Gegenden der Untersinkende für strafbar gehalten wurde). Späterhin, namentlich seit dem sechzehnten [384] Jahrhunderte, wandte man diese Probe, die bei andern Gegenständen schon ganz erloschen war, auf die Heren an; daher entstand das Hexenbad (s. Ordalien). Dieses Beweismittel ist sehr alt, und soll schon bei den frühern Celten gebraucht worden sein, welche Kinder, deren Mutter des Ehebruchs beschuldigt war, in einem Schilde auf den Rhein setzten, und beim Untersinken die Mutter für schuldig erklärten. 2) die Probe des heißen Wassers oder wallenden Kessels (das älteste aller Ordalien, von dem man sichere Spuren hat; da es schon im Anfange des 5. Jahrhunderts in dem Gesetzbuch der Saalfranken vorkommt, aber bei ihnen noch mit Gelde abgekauft werden konnte, also schon unter den Heiden galt) bestand darin, daß Mannspersonen oder Frauenzimmer die Hand in einen Kessel voll siedendes Wasser in Gegenwart der Priester unter vielen Feierlichkeiten bis an den Ellenbogen steckten, und zuweilen einen Stein oder andern Gegenstand vom Grunde desselben aufhoben; die Hand wurde hierauf von den Priestern verbunden, versiegelt, nach drei Tagen wieder besehen, und der Angeklagte losgesprochen, wenn sich keine Spur von Verletzung zeigte, widrigenfalls aber der Strafe überliefert. Dieses Beweismittel wurde unter andern bei Dieben, falschen Münzern und Räubern gebraucht, und erhielt sich neben dem erstern das ganze Mittelalter hindurch bis ins funfzehnte Jahrhundert.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 384-385.
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