Dessalines

[269] Dessalines, Negergeneral und zuletzt Kaiser auf der Insel St. Domingo, war ein geborner Afrikaner, und kurz vor dem Ausbruch des fürchterlichen Aufstandes, der im Norden der Insel Domingo im Monat August 1791 unter der Leitung des wildesten und fürchterlichsten Afrikaners, Biassou, ausbrach, von Guineaʼs Küste nach Domingo gebracht worden. Er hieß mit seinem eigentlichen Namen Jean Jociques, und wurde Diener eines freien Negers, Dessalines, der einiges Eigenthum besaß. Voll Rache über sein Schicksal, das ihn zum Sklaven verdammt hatte, ermordete er seinen [269] Herrn, bemächtigte sich des Nachlasses desselben und nahm dessen Namen an. Er verband sich sogleich mit den aufrührerischen Negerhorden Biassouʼs, wurde von diesem bemerkt und zum Anführer eines Haufens ernannt, mit dem er die größten Grausamkeiten und Mordthaten beging, ohne auf Alter oder Geschlecht seiner unglücklichen Schlachtopfer Rücksicht zu nehmen. Da das Ungeheuer Biassou den größten Mördern und Mordbrennern seiner Horde höhere Stellen und unter sie die gemachte Beute vertheilte, so wurde Dessalines Ehrbegierde und Habsucht gereizt, sich bei ihm durch eine ausgezeichnete Grausamkeit beliebt zu machen. Er überfiel daher, als einst Biassou abwesend war, einen bei den zeitherigen Gräueln verschont gebliebenen Theil der Insel, schleppte 300 Gefangene, meistens Weiber, Kinder und Greise, mit weg, ließ sie alle umbringen und ihre Köpfe auf spitzigen Stangen befestigen, welche Biassouʼs Wohnung umgaben. Diese Schandthat verschaffte ihm eine Stelle unter der Leibwache. Zu gleicher Zeit erschien auch Toussaint Louvertüre in Biassonʼs Lager, und ward Anfangs Sekretair, sodann Gardecapitain desselben; und von jetzt an entstand auch die Verbindung zwischen Toussaint und Dessalines, indem dieser, Toussaintʼs Gegenwart ungeachtet, noch immer Biassouʼs Vertrauen besaß, und ihm die Ausführung der größten Grausamkeiten – unter diesen auch die Anordnung der Martern für die gefangenen Weißen – aufgetragen wurde. Nachdem Biasson seine Oberbefehlhaberstelle, zum Theil auf Anstiften Toussaintʼs und Dessalines, verloren und Jean Français solche erhalten hatte; so wurde Dessalines von Toussaint, dem jetzt das Commando über einen Theil der Neger-Armee anvertrauet war, zu den wichtigsten Unternehmungen gebraucht. Als sich 1793 die Spanier mit den Negergeneralen auf Domingo verbanden, und den Rang eines Feldmarschalls erhielt, bekam Dessalines, der in dem Generalstabe des letztern blieb, einen sehr beträchtlichen Gehalt Francais, Toussaint und Dessalines wütheten nun als Cannibalen gegen alle der Republik Frankreich anhängige Personen, ohne Unterschied, [270] ob sie Neger, Mulatten oder Weiße waren. Allein, da nach und nach das Glück der französischen Republik die Spanier von ihrer Verbindung mit jenen Ungeheuern abgeneigt machte, und Toussaint und Dessalines am Ende von den Spaniern ausgeopfert zu werden fürchteten; so ließ Toussaint am 25. Juni 1794 zu Marmelade alle unter seinem Befehle stehende Spanier ermorden, bei welcher Gelegenheit Dessalines seine Mord- und Raubsucht im höchsten Grade zeigte. Bei der bald darauf erfolgten Ernennung Toussaintʼs (der sich das Zutrauen der Republik Frankreich durch seine Verstellung erschlichen hatte) zum Divisionsgeneral von Domingo wurde auch Dessalines zum Brigadegeneral und zum Commandanten über das Quartier Gonaives auf Domingo ernannt. Jetzt bildete er ein Regiment unter dem Namen der Sansculotten-Neger oder der Revolutions-Armee, und ließ in seinem Gouvernement jeden Weißen, nach dessen Eigenthum ihn gelüstete, hinrichten, stieg auf Toussaintʼs nochmalige Verwendung zum Divisionsgeneral, und erhielt, als dieser endlich Herr von Domingo geworden war, von ihm den Oberbefehl über die westlichen und südlichen Departements. Jetzt nahm er seine Residenz zu Port au Prince, und, unter Toussaintʼs Schutze sicher, ließ er seinem unversöhnlichen Hasse gegen die Weißen vollen Lauf. Der Aufstand Rigaudʼs, eines Mulatten-Oberhaupts im südlichen Departement der Insel, und dessen Niederlage gab ihm eine Gelegenheit, viele tausend Einwohner in den ihm untergebenen Departements ermorden zu lassen, und er brachte es sogar dahin, daß Toussaintʼs Neffe, der Divisionsgeneral Moyse, unter dem Vorwande einer beabsichtigten Verschwörung erschossen wurde, und Toussaint erklärte, daß es außer Dessalines, der in Hinsicht seiner großen Dienste dessen würdig sei, gar keinen Divisionsgeneral mehr in der Colonie geben solle. Als endlich die französische Republik nach Abschluß des Friedens zu Amiens Truppen nach Domingo sendete, um diese Colonie wieder für Frankreich zu erobern; so leistete Dessalines Anfangs Widerstand, ließ die gefangenen [271] Weißen – mit Ausnahme eines Adjutanten des französischen Generals Boudet – ermorden, und floh in den ihm untergebenen Departements von einer Stadt zur andern, ließ aber jedesmal den Ort, aus welchem er vertrieben wurde, zuvor anstecken und die dort befindlichen Weißen umbringen. Da sich endlich Christoph den französischen Truppen unterwarf, und General Leclerc auch den übrigen Negergeneralen zur Verzeihung Hoffnung machte, bat auch Dessalines um Gnade, schwur Frankreich Treue, und wurde auf eine Pflanzung bei St. Marc gesendet, jedoch mit dem Befehl, diesen Ort nicht ohne des Generals Willen zu verlassen. Schon lange hegte Dessalines einen heimlichen Haß gegen Toussaint: er beobachtete daher jetzt dessen Unternehmungen, und er und Christoph bewirkten bald (m. s. d. Art. Christoph i. d. Nachtr.), daß Toussaint nach Frankreich abgeführt und Dessalines zum Generalcommandanten von Domingo ernannt wurde. Allein jetzt bereitete der letztere selbst in der Stille mehrere Empörungen auf Domingo vor, die, als die französische Armee immer mehr durch Krankheiten geschwächt wurde, auf sein, Christophs und Clerveaux Anstiften in volle Flammen ausbrachen. Besonders trat er nach Leclercʼs Tode († 2. Nov. 1802) geradezu an die Spitze der Aufrührer und ließ sogar mehrere tausend Schwarze, die theils ihn einer Verrätherei gegen Toussaint beschuldigten, theils seinen Befehlen nicht gehorchen wollten, durch seine Garden niederhauen oder verbrennen. Der Wiederausbruch des Kriegs zwischen Frankreich und England machte Dessalines und seine Anhänger noch muthiger, und die französischen Truppen, ungeachtet sie von Leclercʼs Nachfolger, dem General Rochambeau, aufs tapferste angeführt wurden, mußten nach und nach alle Plätze der Colonie den Schwarzen übergeben. Da sie endlich sogar sich genöthiget sahen, die Insel völlig zu räumen, war es Dessalines Plan, alle Weiße auf derselben zu vertilgen. Er berief deshalb durch eine Proclamation alle geflüchtete Einwohner zurück, und sie fanden sich zahlreich ein; allein jetzt befahl er die Gefangennehmung aller derer, die zur[272] Ermordung so vieler tausend Einwohner von Domingo Anlaß gegeben hätten, und es erfolgten neue Ermordungen der unglücklichen Colonisten. Dessalines, der jetzt seinen Wunsch der Alleinherrschaft auf Domingo erfüllt sah, brachte es dahin, daß er im Mai 1804 zum Generalgouverneur von Hayti – diesen ursprünglichen Namen der Insel Domingo legte er derselben jetzt wieder bei – auf Lebenszelt ernannt und ihm das Recht, Krieg und Frieden zu schließen, und sich einen Nachfolger zu ernennen, übertragen wurde. Nur ein paar Monate darauf, am 8. October 1804, nahm er, unter dem Namen Jacob I., den Titel Kaiser von Hayti an, und wurde als solcher ausgerufen. Allein seine Feinde, besonders Christoph und mehrere Negergenerale, bewirkten nach und nach eine Revolution gegen ihn, in der dieses Ungeheuer, das in Ansehung seiner Verbrechen Robespierren noch weit übertraf, am 16. Oct. 1806 ermordet wurde.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 269-273.
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