Joseph Haydn

[436] * Joseph Haydn: dieser allgemein verehrte würdige Greis verlebt jetzt in stiller Abgeschiedenheit den Abend seiner Tage in einer der Vorstädte Wiens, nachdem er schon seit einiger Zeit ganz von seiner Muse Abschied genommen hat. Wer kennt nicht die neuern genialischen Werke dieses großen Tonkünstlers, dessen Verdiensten in Paris wie in London so glorreich geopfert worden ist? Die Schöpfung, die Vier Jahreszeiten, die für Vocal-Musik ganz meisterhaft durchgeführten Sieben letzten Worte des Erlösers (welche er vorher blos für Instrumental-Musik gesetzt hatte) – bedarf es wohl mehr als einer bloßen Erwähnung, um seine gewiß zahllosen Freunde zur innigsten Verehrung dieses würdigen Greises hinzureißen? Eine der ausgezeichnetsten Ehrenbezeigungen, [436] die ihm zu Wien widerfuhr, dürfen wir nicht übergehen. Die Dilettanten-Gesellschaft im Universitäts-Gebäude konnte den Schluß ihrer Winterconcerts im März 1808 nicht würdiger feiern, als durch Aufführung des Hayduschen Meisterwerks: die Schöpfung. Dies geschah unter Salieriʼs Direction, und sie hatten das seltene Vergnügen, den würdigen Schöpfer dieser Schöpfung, Vater Haydn, dabei gegenwärtig zu sehn. Die Rührung des Greises bei seinem Empfange, wobei besonders seine Freunde und Schüler, ein Fürst Lobkowitz, eine Fürstin Esterhazy, die Fräuleins Spielmann und Kurzbeck, ein Beethoven, Collin u. m. stets um ihn herum waren, machte den außerordentlichsten Eindruck. Bei der Aufführung selbst war er in öfterer Bewegung; aber bei dem erschütternden Eintritt der Stelle: »Es ward Licht« stürzten ihm die Thränen über die Wangen: er hob die Arme gen Himmel mit den Worten: Nicht von mir, von dort kommt Alles! – Nur bis zum Schluß der ersten Abtheilung hielt er aus, und unter den enthusiastischsten Beifalls-Aeußerungen der Anwesenden wurde er hinweggetragen. Es geschah dies gerade vier Tage vor seinem 76sten Geburtstage.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 436-437.
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