Kuhpocken

[676] Kuhpocken, Schutzpocken, Schutzblattern sind eine an den Eutern der Kühe vorkommende und von diesen auf den Menschen übertragbare, rasch verlaufende, ansteckende Ausschlagskrankheit, die anfangs in entzündeten Knötchen besteht, mit einem Bläschen an ihrer Spitze (welches nach und nach größer wird, in der Mitte einen Eindruck zeigt und eine erst helle und durchsichtige, dann perlenfarbige, später trübe und eiterartige Feuchtigkeit enthält), nur am 8., 9., 10. oder 11. Tage (von der Impfung an gerechnet) von Fieber begleitet wird und mit Bildung eines braunen oder schwarzen, etwas erhabenen, harten, hornartigen Schorfes endigt. Diese Ausschlagskrankheit, welche durch Übertragung der Mauke der Pferde auf Kühe bei diesen entstehen soll, sich aber wol auch von selbst entwickeln mag, hat eine hohe Bedeutung erlangt, seitdem der engl. Arzt Jenner (s.d.) die Entdeckung machte, daß sie gegen die Menschenblattern schütze. Doch besitzen diese wohlthätige Schutzkraft nur die echten Kuhpocken und darum ist es höchst wichtig, mit den Kennzeichen bekannt zu sein, welche die echten Kuhpocken von den unechten unterscheiden. Sogleich nach stattgefundener Impfung läuft der Impfstich oder Impfschnitt etwas auf, verschwindet aber bald fast spurlos, sodaß am zweiten Tage wenig mehr davon zu sehen ist. Erst nach dreimal 24 Stunden, zuweilen auch später, namentlich bei sehr jungen, schlaffen und trägen Kindern, zeigt sich an den Impfstellen ein kleiner rother, etwas harter und erhabener Fleck. Dieser vergrößert sich am vierten Tage und erhebt sich zugleich in ein auch unter der Haut fühlbares, kreis- oder länglichrundes, hirsekorngroßes Knötchen, welches am fünften Tage an Umfang zunimmt und an seiner Spitze ein kleines, halbdurchsichtiges, weißliches, in der Mitte eingedrücktes Bläschen bekommt, sodaß dasselbe von einem schmalen, rothen, wulstigen Rande oder Hofe umgeben erscheint. Am sechsten und siebenten Tage wird das Bläschen breiter und erhabener und füllt sich mit einer dünnen, durchsichtigen, perlfarbigen Feuchtigkeit, während der dasselbe umgebende Rand anschwillt, [676] härter, breiter und glänzendroth wird und zu jucken beginnt. Am achten Tage gelangt endlich die Pustel zu ihrer vollkommenen Ausbildung. Das Bläschen hat jetzt die Größe einer Erbse, die in ihm enthaltene Lymphe ist meist noch hell, beginnt aber manchmal schon sich zu trüben; der rothe geschwollene Umkreis wird schmerzhaft und einige Linien breit. An diesem oder am folgenden Tage stellt sich ein gelindes Feber ein, das etwa 24 Stunden bis höchstens zwei Tage dauert. Zugleich schwellen die Drüsen unter den Achseln etwas an und schmerzen. Am neunten Tage trübt sich die in der Blase befindliche Flüssigkeit, wird weißlich oder blaßgelblich; der noch röther und härter gewordene Hof breitet sich schnell sehr weit aus. Am zehnten Tage geht die Pocke in Eiterung über, die Blase, welche nun den Eindruck in ihrer Mitte verliert und einer an den Rändern scharf abgeschnittenen Linse ähnlich wird, füllt sich mit wirklichem Eiter, der sie umgebende Hof erreicht die Breite von 1–2 Zoll und färbt sich in ihrer nächsten Umgebung dunkel- oder selbst bläulichroth, weiterhin rosenroth, in dem äußersten Umkreise blaßroth. Am zwölften Tage beginnen Geschwulst, Röthe und Ausbreitung des Hofs schnell abzunehmen, die Pocke trocknet vom Mittelpunkte aus nach außen hin ein, wird in der Mitte bräunlich und bekommt hier eine kleine Kruste. Am 13. und 14. Tage bedeckt sie sich endlich unter allmäligem Verschwinden des Umkreises mit einem dunkelbraunen oder schwarzen, harten, hornartigen, ziemlich dicken, mehr flachen als halbkugelförmigen und fest aufliegenden Schorfe, der nach und nach lockerer wird, nach etwa acht Tagen abfällt und eine nicht eben tiefe, kreisrunde Narbe (Pockengrübchen) zurückläßt, welche sich an ihrer Grundfläche durch einige kleine, dunkelgefärbte Grübchen auszeichnet. Als wesentliche Merkmale echter Kuhpocken sind aber zu betrachten: der nicht vor dem dritten Tage nach der Impfung bemerkbare Anfang der Bildung des Knötchens, die beschriebene Form, Härte, Ausdehnung dieses und der Pustel in den genannten Zeiträumen, die angegebene Dauer dieser, das zur genannten Zeit eintretende Fieber, die Zeit und Art der Bildung des rothen Hofes, die bezeichnete Gestalt, Härte, Dicke und Befestigung des Schorfs, endlich die Beschaffenheit der Pockengrube. Unechte Kuhpocken, die, wie schon erwähnt, nicht gegen die Menschenblattern schützen, geben sich als solche durch folgende Abweichungen zu erkennen. Sie beginnen schon am zweiten Tage nach der Impfung oder noch früher sich zu bilden, haben nicht die gehörige, oben bezeichnete Form der echten, sondern eine ungleiche, eckige, längliche oder zackige, erreichen sogleich einen beträchtlichern Umfang und entzünden sich stärker, ohne daß sich doch der regelmäßig beschriebene rothe Hof bildet, verlaufen überhaupt, was ihre Entwickelung anlangt, unregelmäßig, im Ganzen weit rascher, sodaß die schnell entstandenen Pusteln sehr bald in Eiterung übergeben und sich schon am 6. oder 7. Tage in einen gelben, rauhen, unebenen und lockern Schorf verwandeln. Dergleichen unechte Kuhpocken entstehen auf mannichfache Art und zwar entweder 1) weil die zur Impfung benutzte Lymphe nichts taugte, sei es nun, daß sie aus unechten Pocken oder, wenn auch aus echten, doch durch Aufkratzen u. dgl. in ihrer gehörigen Entwickelung gestörten Pusteln oder auch aus gehörig gebildeten vor oder nach der rechten Zeit entnommen war, oder daß sie durch lange Aufbewahrung gelitten hatte; 2) weil der Impfling krank, namentlich mit verschiedenen Hautausschlägen behaftet war, oder 3) weil die Impfung mit einer unreinen, rostigen Lanzette vollzogen wurde u.s.w. Die echten Kuhpocken sind als eine durch einen besondern Ansteckungsstoff künstlich veranlaßte Ausschlagskrankheit mild und unschädlich und verlaufen in der Regel so gelind, daß es keiner arzneilichen Behandlung derselben bedarf, sondern daß es vollkommen hinreicht, die Geimpften gegen krankmachende Einwirkungen, wie insbesondere gegen Erkältungen, die Impfstellen und Pocken selbst aber gegen Reizungen und Verletzungen zu sichern. Entwickeln sich, wie dies zuweilen der Fall ist, nach den Kuhpocken üble Hautausschläge, die Scrophelsucht oder die engl. Krankheit, so geschieht dies meist nur zufällig, und in Folge schon früher vorhanden gewesener Anlagen. Dagegen hat man nicht selten die Beobachtung gemacht, daß die Kuhpocken die Gesundheitsumstände der Geimpften zu verbessern schienen. Nie haben Kuhpocken die übeln Folgen der Menschenblattern. (Vgl. Impfen.)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 676-677.
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