Erdbeben

[461] Erdbeben. Eine Naturerscheinung, welche furchtbarer und verheerender ist, als Orkane, Gewitter, Wolkenbrüche und vulkanische Eruptionen. Bis jetzt kennen wir zwar die Erscheinung, ihre Ursachen lassen sich aber nur mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit muthmaßen. Am häufigsten sind die Erdbeben in der Nähe von Vulkanen, besonders wenn diese an der Meeresküste liegen. Am meisten gefürchtet werden sie, wenn die feuerspeienden Berge lange geschwiegen haben Hieraus scheint hervor zu gehen, daß Dämpfe, welche sich in größeren Höhlungen der Erde ansammeln, die Hauptursache sind, daß sie unschädlich bleiben, sobald[461] sie durch vulkanische Eruptionen sich Luft verschaffen – daß sie vernichtend wirken, sobald diese Ausgänge verstopft werden. Die Dämpfe häufen sich dann an, bekommen größere Spannung, erhitzen sich durch unterirdische Gluth, und sprengen endlich die Decke, welche auf ihnen ruht, um nun nicht nur Gebäude, sondern ganze Städte und Gegenden zu zerstören oder zu verschlingen. Bis auf welche Weite sich die Wirkung des Erdbebens erstreckt, geht daraus hervor, daß bei dem furchtbaren Schicksal, das Lissabon traf, die Erschütterungen in Island und Moskau ganz gleichzeitig empfunden wurden. Ein schreckliches Erdbeben verheerte 1797 ganz Peru, Carracas und Venezuela; es verbreitete sich über die ganze Hälfte von Südamerika, und ward bis Spanien, Italien und Griechenland verfolgt. Bei solchen Anfällen sieht man Thäler sich zu Bergen erheben, und Berge einsinken, an deren Stelle oft unergründlich tiefe Seen sich bilden, ganze Städte werden in Staub und Asche gelegt, weil die Schwingungen des Erdbodens alle Bande der Cohäsion lösen. Die Erde spaltet sich, bildet Abgründe, welche Alles verschlingen, was sich ihnen naht, deren mephitische Dünste jedem lebenden Wesen den Tod drohen, und die oft von furchtbarem, unterirdischem Donner und von Ausbrüchen hoher Flammen begleitet sind. Die erstickenden Gasarten, welche gewöhnlich der ganze Erdboden in großer Menge aushaucht, haben einen eigenthümlichen Einfluß auf die Atmosphäre. Diese pflegt durch auffallende Erscheinungen, durch Stürme, anhaltende Gewitter, durch eine ungewöhnliche Schwüle, durch einen auffallend niedern Barometerstand, die Erdbeben gleichsam vorzubereiten. Wo der Sitz der Erdbeben sei, muß uns, die wir kaum die Erdoberfläche kennen, unbekannt sein, doch zu vermuthen ist, daß derselbe in beträchtlicher Tiefe sich befinde, da so ungeheuer ausgedehnte Wirkungen wohl nur von einem Centralpunkt ausgehen können.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 3. [o.O.] 1835, S. 461-462.
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