Karsch, Anna Luise

[82] Karsch, Anna Luise, nach einem frühern Sprachgebrauche die Kar sch in, oft die deutsche Sappho genannt, eine Naturdichterin des vorigen Jahrhunderts, ward am 1. Dec. 1722 in einem Dorfe bei Züllichau geboren, wo ihr Vater, Dürbach, als Gastwirth und Bierbrauer lebte. Während eines Aufenthaltes bei ihrem Oheim, welcher Amtmann war, lernte sie lesen und schreiben, entwickelte bald natürliche Anlagen und legte frühzeitig Proben ihres Talentes ab. Die Mutter, besorgt, Luise möchte dereinst über die poetischen Beschäftigungen die Wirthschaft vernachlässigen, nahm sie aus dem Hause des Oheims und ließ sie 3 Jahre lang die Kühe hüten; jedenfalls ein wirksames Mittel gegen die Poesie, welches dessen ungeachtet aber auf die junge Dichterin seinen Einfluß verfehlte.[82] Denn auch jetzt wußte sie sich Bücher zu verschaffen, um ihrem Trieb zur Lectüre nachzuhängen. Man vermählte sie bald darauf mit einem Tuchmacher, Hirsekorn zu Schwibus. Aber die Ehe mit diesem geizigen und zänkischen Manne war eine höchst unglückliche und wurde es noch mehr durch Luisen's geringe Anlage zur Wirthlichkeit. Nach 11 traurigen Jahren wurde diese Verbindung getrennt und unsere Dichterin mußte auf den Befehl der Mutter eine zweite Ehe mit einem dem Trunke ergebenen Schneider, Namens Karsch, eingehen. Mit diesem zog sie nach Frauenstadt und Glogau, versank hier in das tiefste Elend und fristete ihr und ihrer Familie Leben nur durch Verfertigung einer Menge von Gelegenheitsgedichten, welche sie auf Bestellung machte und meistens aus dem Stegreife niederschrieb. Sie zog in der Umgegend herum, declamirend und improvisirend, erwarb sich ansehnliche Unterstützung, die aber ihr Gatte durch den Trunk wieder verschwendete. Inzwischen hatte sie einen Ruf erlangt, und die Errettungsstunde, welche sie aus dem bodenlosen Jammer befreien sollte, schlug. Ein Baron, Kottwitz, nahm sie 1761 mit nach Berlin und unterstützte sie auf das Großmüthigste. Die Neuheit ihrer Erscheinung erwarb ihr zahlreiche und vornehme Gönner. Gleim, Mendelssohn, Ramler, Sulzer u. A. unterstützten sie. Letzterer gab ihre Gedichte heraus, für die sie 2000 Thaler erhielt; auch der Graf Stolberg-Wernigerode setzte ihr einen Jahrgehalt aus. Alles dieß aber vermochte, bei ihrer geringen Wirthschaftlichkeit, nicht, ihr einen häuslichen Wohlstand zu begründen, und sie fiel daher ihren Freunden unablässig zur Last. Friedrich 11., der die Dichterin wenig beachtete, sandte ihr deßhalb, ihres Drängens müde, nur immer einige Thaler. – Friedrich Wilhelm II. aber ließ der Dichterin nach seinem Regierungsantritte ein bequemes Haus bauen und bestrebte sich, ihr ein sorgenfreies Alter zu bereiten. Sie starb jedoch bereits am 12. Oct. 1791, noch bevor sie ihren Ruhm gänzlich überlebt hatte. Ihre Tochter vermählte sich mit einem Herrn v. Klenke, [83] aus welcher Ehe die bekannte Dichterin Helmina v. Chezy (s. d.) entsprossen ist. Luise Karsch hatte unverkennbare Anlagen zur Poesie; sie besaß lebhafte Phantasie und ein regsames Gefühl. Manchmal verlor sie sich in leere Reimerei und ihre spätern Gelegenheitsgedichte hatten meistens abgeschmackte Lobhudelei zum Gegenstande; dennoch kann man mehrere ihrer ersten Erzeugnisse noch jetzt nicht ohne Bewunderung lesen. Ihr Eigendünkel ließ es nie zu, die Lehren eines Ramler, Lessing, Gleim etc. anzunehmen. Von ihren Gedichten sind mehrere Sammlungen erschienen, wovon jedoch keine vollständig ist.

B.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 82-84.
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