Lazarus, Moritz

[389] Lazarus, Moritz, geb. 1824 in Filehne, Prof. in Bern, dann an der Kriegsakademie in Berlin, seit 1873 Honorarprofessor an der Berliner Universität, gest. 1903 in Meran.

L., der von Herbart ausgegangen ist, aber in vielem von ihm abweicht, ist, mit Steinthal, ein Begründer der Völkerpsychologie. Diese ist die »Psychologie des gesellschaftlichen Menschen oder der menschlichen Gesellschaft«, sie hat eine Erkenntnis des »Volksgeistes« zu erstreben, ist die »Wissenschaft vom Volksgeiste«, von den »Elementen und Gesetzen des geistigen Völkerlebens«. Sie hat es mit den Gesetzen des menschlichen Zusammenlebens sowie mit den Gebilden desselben (Recht, Sitte, Sprache usw.) zu tun, dann aber auch mit der Psychologie der Einzelvölker. Der Volksgeist[389] ist zwar kein metaphysisches Wesen, keine Persönlichkeit außerhalb der Einzelgeister, aber als das Gemeinsame der Tätigkeiten dieser, als Produkt ihrer Wechselbeziehungen hat er volle Realität; er beherrscht das geistige Leben der Individuen und diese sind von ihm abhängig, wirken im Sinne des Gesamtgeistes, der in den Persönlichkeiten selbst tätig ist. Die Gebilde des »objektiven Geistes« (des bleibenden Resultates geistiger Prozesse) treten dein Einzelnen als selbständige Mächte entgegen. In der Geschichte wirken vor allem psychische Kräfte und Ideen als Ziele des Willens. Die Ideen (z. ß. die sittlichen) sind reale Mächte, produktive Kräfte. Die Geschichte zeigt eine immer umfassendere Entwicklung der Humanitätsidee. Eine Kontinuität der Kultur besteht, und durch psychische »Verdichtung« und »Übertragung« wird der Fortschritt beschleunigt.

Unter der »Apperzeption« versteht L. die Reaktion der »vom Inhalt bereits erfüllten, durch die früheren Prozesse seiner Erzeugung ausgebildeten Seele«. Die Sprache ist ein natürliches, soziales Erzeugnis. Die Sprachlaute sind zunächst Erfolge von, durch Empfindungen und Vorstellungen veranlaßten, Reflexbewegungen. Die Sprachgenossen verbinden mit der gleichen Anschauung den gleichen Laut. Das Wort ist Zeichen der Sache, zugleich aber Ausdruck und Erscheinung der subjektiven Auffassung. »Innere Sprachform« ist die Beziehung der vielseitigen Sache zum Menschen, vermittelt durch die Sprache.

SCHRIFTEN: Die sittliche Berechtigung Preußens in Deutschland, 1860. – Über den Begriff und die Möglichkeit einer Völkerpsychologie, in: Deutsches Museum, hrsg. von Prutz und Wolfsohn, 1851. – Das Leben der Seele, 1856 f.; 3. A. 1883 ff. (Hauptwerk). – Über den Ursprung der Sitten, 1860; 2. A. 1867. – Begriff und Methode der Völkerpsychologie, Zeitschr. f. Völkerpsychol. I, 1860. – Über die Ideen in der Geschichte, 1863; 2. A. 1872. – Zur Lehre Ton den Sinnestäuschungen, 1867. – Ideale Fragen, 1878; 3. A. 1885. – Über die Beine des Spiels, 1884 (das Spiel dient der »Erholung«). – Die Ethik des Judentums, 1898. – Lebenserinnerungen, 1906, u. a. – Vgl. A. LEICHT, L., der Begründer der Völkerpsychologie, 1901.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 389-390.
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