Maimon, Salomon

[442] Maimon, Salomon, geb. 1754 in Neschwitz (Litthauen) als Sohn eines polnischen Rabbiners, schon als Knabe talmudisch geschult, mit dreizehn Jahren schon Familienvater. Er lernte deutsch, verließ seine Familie, ging ohne alle Mittel nach Berlin, wo er unter der Leitung Mendelssohns Philosophie studierte, bald aber ein unstetes Vagantenleben führte (Holland, Hamburg). Als Erwachsener besuchte er noch das Gymnasium in Altona, ging dann wieder nach Berlin, Breslau, mit der Abfassung wissenschaftlicher Lehrbücher in hebräischer Sprache beschäftigt. In Berlin studierte M. Kants »Kritik der reinen Vernunft« und verfaßte einen »Versuch über die Transzendentalphilosophie« (1790) und in der Folge weitere philosophische Schriften. Von Kant, Fichte und Schelling[442] wurde er als scharfsinniger Denker geschätzt. Zuletzt lebte er auf einem Gute des Grafen Kalkreuth bei Freistadt (Schlesien), wo er 1800 starb.

M. nennt seinen, teilweise im Sinne Kants, teilweise gegen ihn gerichteten Standpunkt den eines »empirischen Skeptikers«, der ihn in mancher Beziehung Hume, in anderer Fichte nähert. M. tadelt an Kant, daß er nicht die zwei Stämme der Erkenntnis, Sinnlichkeit und Verstand aus einer Wurzel herleite, die M. im Bewußtsein überhaupt, welches das »Denken« im weitesten Sinne, die Synthese eines Mannigfaltigen zur Einheit ist, findet. Nicht bloß die Form, auch der Stoff der Erkenntnis ist nicht von außen gegeben, sondern liegt in uns selbst, als etwas Irrationales, dem bewußten Denken Vorangehendes, als Grenze oder »Differential« des Bewußtseins. Das »Ding an sich« ist ein Unding, die »Affektion« seitens der Dinge fällt in das Bewußtsein selbst (Idealismus). A priori ist (gegenüber der Empfindungsmannigfaltigkeit) die Form oder Bedingung aller besondern Erkenntnis, die Bedingung, unter der allein das Mannigfaltige der Empfindungen gegeben werden kann. A priori sind also die Anschauungsformen (Raum und Zeit), als Formen von Einheitsynthesen. Der Raum ist aber nicht bloß eine (nur als endlich vorstellbare) Anschauung, sondern auch ein allgemeiner Begriff. Ebenso verhält es sich mit der Zeit. Die Unendlichkeitsbegriffe sind »bloße Ideen, die keine Objekte, sondern das Entstehen der Objekte vorstellen«, »Grenzbegriffe«. Die Sinnlichkeit liefert uns die Objekte als Produkte unseres Denkens (als Einheitsfunktion), welches sich dann der Regeln der Erzeugung bewußt und damit zum Verstande wird; die Sinnlichkeit ist also nur der unvollständige Verstand.

Das Grundgesetz des objektiven Denkens ist der »Satz der Bestimmbarkeit« (als Art des Satzes vom Grunde). Beziehungsformen des Denkens sind auch die Kategorien, die nach M. nur Formen des Satzes der Bestimmbarkeit sind, Anwendungen des Logischen auf die Objekte. Die Kausalität ist keine Kategorie, sie gilt nicht einmal für die Dinge als Erscheinungen, hat bloß subjektive Geltung (Wahrscheinlichkeit), beruht auf Gewohnheit (vgl. Hume). Die Ideen sind nicht Vernunftgebilde, sondern entspringen der Einbildungskraft. Die Vernunft kann keine Vorstellung des Unbedingten erzeugen; die Kantschen »Antinomien« beruhen in Wahrheit auf einem Widerstreit der Vernunft mit der Einbildungskraft (nicht mit sich selbst). Die Ideen haben nur subjektive Gültigkeit, so auch die religiöse Idee, welche das Streben nach höchster Vollkommenheit fordert. Gott darf nicht anthropomorph vorgestellt werden; M. lehrt die Existenz einer »Weltseele«. In ethischer Hinsicht tadelt M. Kants schroffe Ablehnung alles Eudämonismus, des »Genusses«, der das Motiv unseres Handelns ist und als geistiger Genuß keineswegs verächtlich ist. Das Motiv des sittlichen Handelns ist das lustvolle Gefühl der eigenen Würde.

SCHRIFTEN: Versuch über die Transzendentalphilosophie, 1790. – Philosophisches Wörterbuch, 1791. – Streifereien im Gebiete der Philosophie, 1793. – Über die Progresse der Philosophie, 1793. – Die Kategorien des Aristoteles, 1794. – Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens, 1794 (Hauptwerk). – Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist, 1797. – Lebensgeschichte, 1792, 1906. – Vgl. S. J. WOLFF,[443] Maimoniana, 1813. – J. H. WITTE, S. M., 1876. – RUBIN, Die Erkenntnistheorie M.s, 1897. – GOTTSELIG, Die Logik S. M.s, 1908.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 442-444.
Lizenz:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika