Neumann, Ernst

[469] Neumann, Ernst, geb. 1862, Prof. in Leipzig, Herausgeber des »Archiv für die gesamte Psychologie« und der »Zeitschrift für experimentelle Pädagogik«.

M. ist namentlich durch seine Arbeiten auf experimentell-psychologischem (Zeitsinn, Gedächtnis u. a.) und pädagogischem Gebiete bekannt. Bezüglich der Apperzeptionslehre u. a. Punkte geht er von Wundt aus, dessen Voluntarismus er aber nicht akzeptiert. Die Intelligenz ist das Primäre, sie ist Bedingung des Willens, der ohne intellektuelle Elemente nicht möglich ist. Es gibt »Intelligenzformen des Willens« und »Willensformen der Intelligenz«. Intelligenz im engeren Sinne ist »Urteilsfähigkeit«, Selbständigkeit des Urteils. Der Wille ist ein Übergehen von Vorstellungen in Handlungen, ein »Übergehen von beurteilten Zielvorstellungen und ihrer Zustimmung in Handlungen«.

In der Ästhetik muß die psychologisch-subjektive durch die objektive Methode ergänzt werden. »In dem ästhetischen Tatsachengebiet haben wir es nicht bloß mit einer besonderen Art von Bewußtseinsvorgängen zu tun, wie die psychologische Ästhetik annimmt, sondern mit einem eigenartigen Verhalten des Menschen zur Welt, das nach seiner subjektiven und objektiven Seite hin... gewürdigt werden muß.« Zu untersuchen sind: 1. das Verhalten des ästhetisch genießenden Menschen, 2. das Verhalten des ästhetisch-produktiven Menschen, des Künstlers, 3. die Kunstprodukte, 4. die ästhetische Kultur. Die meisten der bestehenden ästhetischen Theorien sind einseitig, weisen aber auf einen beim ästhetischen Gefallen mitwirkenden Teilvorgang hin. Die Kunst ist vom Spiel zu unterscheiden, sie ist Darstellen und Bilden, nicht[469] Nachahmung, nicht Gefühlsausdruck, sondern »äußere Darstellung einer durch eine Persönlichkeit in individueller und anschaulicher Weise verarbeiteten Wirklichkeit, in einem Werk, mit anschaulichen Mitteln...; in einem Werke ferner, das nur dem persönlichen Zwecke des Künstlers dient: der vollkommene Ausdruck seiner inneren Erlebnisse zu sein, dessen Zweck daher in ihm selbst liegt«.

SCHRIFTEN: Untersuchungen zur Psychologie und Ästhetik des Rhythmus, 1894. – Beiträge zur Psychologie des Zeitsinnes, Philos. Stud. VIII. – Über Zeitausfüllung, Philos. Stud. XII, 1896. – D. Entsteh, d. ersten Wortbedeut. beim Kinde, 1902, 2. A. 1908. – Über einige Grundfragen d. Psychol. d. Übungsphänomene, 1904 (mit E. Ebert). – Die Sprache des Kindes, 1903. – Über Ökonomie und Technik des Lernens, 1903. – Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik, 1907. – Intelligenz und Wille, 1907. – Ökonomie und Technik des Gedächtnisses, 1908. – Einführung in die Ästhetik der Gegenwart, 1908. – Das System der Ästhetik, 1910. – Assoziationsexperimente, 1907, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 469-470.
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