Parmenides aus Elea

[526] Parmenides aus Elea, geb. um 540 v. Chr., Schüler des Xenophanes, verfaßte um 480 v. Chr. ein philosophisches Lehrgedicht (peri physeôs), von dem viele Verse erhalten sind.

P. ist der Hauptvertreter der Eleatischen (s. d.) Richtung, er hat die von Xenophanes eingeleitete Weltanschauung spekulativ begründet. Er unterscheidet[526] schroff zwischen Sinneswahrnehmung und Vernunft (Denken); erstere hat die nur scheinhafte Welt der Vielheit und des Werdens, letztere aber das allein wahrhafte und reale einheitliche Sein zum Gegenstande. Dem Sinnentrug ist die begriffliche Erkenntnis (krinai de logô) entgegenzusetzen, die Einsicht: Nur das Sein ist, das Nichtseiende ist nicht (hê men hopôs estin te kai hôs ouk esti mê einai...). Das Nichtseiende läßt sich nicht denken, nicht erkennen, nicht benennen (oute gar an gnoiês to ge mê eon ...). P. lehrt die Identität von Denken (Gedachtsein) und Sein in dem Sinne, daß nicht bloß das Seiende ein Denkendes ist, sondern daß das Gedachte, der Gegenstand der Vernunft das Seiende ist (to gar auto noein estin te kai einai. – tauton d' esti noein te kai houneken esti noêma). Denn das Denken ist ohne ein Sein, welches gedacht wird, kein Denken.

Es gibt also kein Werden, nur das Sein. Dieses kann nicht entstanden sein, weder aus dem (nicht existierenden) Nichtsein noch aus dem Seienden, das es ja selbst ist (pê pothen auxêthen; out' ek mê ontos easô / phasthai s' oude noei; ou gar phaton oude noêton / estin hopôs ouk esti ...). Das Seiende ist denknotwendig, es kann als nichtseiend gar nicht gedacht werden. Es kann nicht entstehen, nicht vergehen; es ist ewig, unzerstörbar, einheitlich, ein Ganzes, eingeboren, unveränderlich, stetig zusammenhängend (hôs agenêton eon kai anôlethron estin / oulon mounogenes te kai atremes êd' ateleston / oude pot' ên oud' estai, epei nyn estin homou pan / hen, syneches). Es ist unteilbar und homogen (oude dihaireton estin, epei pan estin homoion), sich selbst gleich (tauton t' en tautô te menon kath' heauto te keitai), unbewegt (akinêton), unbedürftig (out' epideues). Das Seiende ist das All (hô pant' onom' estin). Es gleicht einer wohlgerundeten Kugel, indem es in sich selbst begrenzt ist (autar epei peiras pymaton tetelesmenon esti / pantothen eukyklou sphairês enalinkion onkô / messothen isopales pantê). Alles Werden, alle Bewegung, alle Vielheit ist nur Schein, wahrhaft besteht nur das unveränderliche, stets mit sich identische Sein, welches zugleich denkt (Pantheismus).

Nur dies ist wahre Erkenntnis. Aber P. will im zweiten Teil seines Lehrgedichtes auch zeigen, wie man sich die Welt vom Standpunkt, der Sinneswahrnehmung und einer auf ihr beruhenden »Meinung« (doxa) vorstellen kann. Er unterscheidet hier zwei Prinzipien oder Gegensätze, die überall miteinander gemischt sind: Warmes und Lichtes – Kaltes und Dunkles. Das Licht, das ätherische Feuer (aitherion pyr) ist die positive Kraft in allem, analog dem »Seienden« ist es stets sich selbst gleich. Gemischt wird alles durch die Gottheit (»Dämon«), die alles beherrscht (en de mesô toutôn Daimôn, hê panta kyberna) und von den Göttern als ersten den »Eros« hervorgehen ließ (prôtista men 'Erôta theôn mêtisato pantôn).

SCHRIFTEN: Das Lehrgedicht peri physeôs, griechisch und deutsch von H. Diels, 1897. – Vgl. A. DÖRING, Das Weltsystem des P., Zeitschrift für Philosophie u. philos. Kritik, Bd. 104.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 526-527.
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