Viertes Kapitel
Herrfurth

[546] Bei seiner Thronbesteigung war der Kaiser entschlossen, den von seinem Vater auf dem Todbette entlassenen Minister des Innern von Puttkamer wieder in sein Amt zu berufen; nur des Decorums wegen sollte die Wiederanstellung nicht zu schnell auf die Entlassung, und den Tod des Kaisers Friedrich, folgen. In seinem Auftrage wurde von mir Herrn Herrfurth das Ministerium des Innern unter der Bedingung angeboten, daß er dasselbe gegen ein Oberpräsidium, womöglich Coblenz, vertauschen sollte, sobald der Kaiser den Zeitpunkt für gekommen halten würde, Herrn von Puttkamer wieder zu berufen. Herrfurth erklärte sich dazu bereit mit dem Bemerken, daß er die Politik Puttkamers in der Zwischenzeit genau fortführen werde. Nachdem er auf diese Weise am 2.[546] Juli 1888 interimistischer Minister geworden war, hatte er an das Reformbedürfniß Sr. M. das Bestreben angeknüpft, aus dem Interimisticum ein Definitivum zu machen. Ich war überrascht, von dem Kaiser, als ich ihm vortrug, daß die Zeit zur Wiederanstellung Puttkamers gekommen schiene, die Antwort zu erhalten, er habe sich nun schon an »Rübezahl« gewöhnt und wolle ihn behalten.

Wodurch hatte nun Rübezahl die frühere Antipathie so überwunden, daß er Herrn von Puttkamer vorgezogen wurde, dessen restitutio in integrum der Kaiser bedungen hatte? Ich darf annehmen, daß die Aussicht, auf dem Gebiete der Landgemeindeordnung ein dringendes Bedürfniß unter Zustimmung aller Interessenten zu befriedigen und eine allgemein empfundene Bedrückung durch Reste feudaler Einrichtungen zu beseitigen, die Unterlage der kaiserlichen Gunst war.

Herrfurth hatte mir schon vor seinem Eintritte in das Ministerium von der Absicht einer Reform der Landgemeindeordnung in den alten Provinzen gesprochen, und ich hatte ihn dringend gebeten, diese Frage ruhn zu lassen: die Landbevölkerung der alten Provinzen lebe in tiefem Frieden mit einander. Niemand fühle ein Bedürfniß der Aenderung mit Ausnahme etwa der Dörfer, welche Stadtcharakter angenommen hätten, meistens Vororte großer Städte; die große Masse der ländlichen Bevölkerung lebe in der jetzigen bäuerlichen Dorfverfassung in Ruhe und Frieden, und auch zwischen Guts- und Dorfgemeinden herrsche nicht nur Eintracht, sondern auch auf beiden Seiten Abneigung gegen Aenderungen. Ich bat dringend, die bestehende Eintracht auf dem Lande nicht durch Hineinwerfen von theoretischen Zankäpfeln zu stören, durch Anregung unlösbarer Prinzipienfragen Kämpfe hervor zu rufen, zu denen bisher kein sachlicher Anlaß gewesen. Herrfurth entgegnete, daß allerdings Anlaß vorhanden sei in der Existenz von »Zwerggemeinden«, die außer Stande seien, ihre Pflichten als Gemeinde zu erfüllen. Ich bestritt, daß damit das Bedürfniß zu einer grundstürzenden Umwälzung bewiesen sei, die an das Jahr 1848 mit seiner Verfassungsmacherei und Neuregulierung aller Lebensverhältnisse erinnerte.

Nach dieser Auseinandersetzung mit meinem Collegen und nach vertraulichen Besprechungen der Frage, die im Winter 1888–1889 Statt gefunden hatten, war ich überrascht, als ich den Besuch einer Deputation von Schönhauser Bauern erhielt, welche mir von dem Landrathe erhaltene lithographirte Fragebogen vorlegten, aus denen die Absicht der Regierung zu entnehmen war,[547] die Zustände unsrer Landgemeinden prinzipiell neu zu gestalten. Zu ihrer lebhaften Befriedigung konnte ich ihnen sagen, daß ich, solange ich Minister sei, solchen Plänen nicht zustimmen würde und auch nicht glaubte, daß dieselben Aussicht auf die Genehmigung Sr. M. haben würden. Durch Erkundigung in anderen Provinzen erfuhr ich, daß auch dort durch Metallogramme der Behörden dieselben vorbereitenden Ermittlungen bei den Bauerngemeinden Statt gefunden hatten. Als ich Herrfurth sagte, ich hätte nach unseren Besprechungen nicht glauben können, daß er mit seinem Reformplane unbeirrt und ohne Einverständniß des Staatsministeriums vorgehen würde, erhielt ich abschwächende und ausweichende Antworten der Art, daß schon damals der Verdacht in mir aufstieg, mein College habe sich hinter meinem Rücken des kaiserlichen Einverständnisses mit seinen Bestrebungen versichert, und daß die Aussicht auf eine große Wirkung der bezeichneten Reform ihm das Mittel gewesen sei, die Gunst des Kaisers zu gewinnen und die definitive Ministerstellung zu erreichen. Wenn er nicht schon damals kaiserlicher Rückendeckung sich bewußt gewesen wäre, so wäre er schwerlich gegen meine und des Staatsministeriums ihm bekannte Ueberzeugung soweit vorgegangen, wie ich durch meine Erkundigung erfuhr.1

1

Die Landgemeindeordnung wurde am 24. April 1891 von dem Abgeordnetenhause mit 327 gegen 23 Stimmen angenommen und Herrfurth darüber durch ein Telegramm des Kaisers aus Eisenach beglückwünscht. Das Herrenhaus gab einem Paragraphen eine andere Fassung, die am 1. Juni von dem Abgeordnetenhause mit 206 Stimmen gegen 99 Konservative angenommen wurde.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 548.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen 3 Bände in einem Band.
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen