Die Phalanx.

[170] Die macedonischen Reiter hießen wohl von je her die »Hetären« des Königs; dem neugebildeten Fußvolk gab Philipp[170] den Ehrennamen der »Pezetären«, »Gefolgsmänner zu Fuß«. Sie wurden gelehrt, in der Phalanx, der geschlossenen taktischen Ordnung, nach Art der Griechen zu fechten. Ein gewisser Unterschied war jedoch vorhanden: die macedonische Phalanx wurde dichter rangiert, als es bei den Griechen üblich war, und mit längeren Spießen, den Sarissen, ausgerüstet, die es gestatteten, die Spieße mehrerer Glieder gleichzeitig in Wirksamkeit zu setzen. So hat Friedrich der Große seine Infanterie enger rangieren lassen als bis dahin üblich – vier Mann auf drei Schritt statt auf vier Schritt – um mehr Gewehre gleichzeitig im Feuer zu haben.89

Wie im einzelnen die Sarissen-Phalanx der klassischen macedonischen Zeit organisiert war, wissen wir nicht, im besonderen auch nicht, wie lang die Sarisse damals gemacht wurde. Ich vermute, daß das vorderste oder die beiden vorderen Glieder der Phalanx nach wie vor den handlichen Hoplitenspieß und nur die hinteren den Langspieß getragen haben, der aber doch wohl nicht länger war, als daß er noch mit einer Hand regiert werden konnte.

Die Gründe für diese Abweichung von der alten dorischen Ordnung sind nicht überliefert, aber aus der Natur der Sache zu erschließen.

Wir werden annehmen dürfen, daß die jahrhundertelange Erfahrung die Griechen gelehrt hatte, ihre Hauptwaffe, den Spieß, so zu konstruieren, also Länge, Dicke, Schwere so abzumessen, wie es für das Gefecht am praktischsten war: möglichst lang, um den Feind zu erreichen, aber nicht länger, als daß er mit einer Hand sicher regiert und der Stoß nicht zu leicht von dem Gegner pariert werden konnte. Nach den Vasenbildern zu schließen, war der Spieß etwas über Mannesgröße, also etwa zwei Meter lang.90 Jedoch mögen vielfache Verschiedenheiten vorgekommen sein. Was die beste Länge ist, darüber sind sich selbst heute die Kriegsmänner noch nicht einig: die Lanze der deutschen Kavallerie hat 3,52 Meter; der russischen 3,16; der französischen 3,29; der österreichischen[171] 2,63 Meter.91 Wenn nun die Macedonier über das längste bei den Griechen erfahrungsmäßig eingebürgerte Maß noch hinausgingen, so war das für das Gefecht Mann gegen Mann ein Nachteil, und die gedrängte Aufstellung vergrößerte den Nachteil noch, indem sie den Einzelnen in der freien Bewegung verhinderte. Die Sarissen-Phalanx aber soll weniger durch den Kampf Mann gegen Mann, als durch den geschlossenen Andrang des ganzen Haufens wirken; hält sie sich defensiv, so ist in die stachelige Masse gar nicht einzudringen.

Philipp wird sich zu dieser Kampfesform entschlossen haben, weil er sich bewußt war, daß seine neugebildete Truppe es unter gleichen Bedingungen mit den griechischen Hopliten, die von dem Selbstvertrauen alter geübter Krieger erfüllt waren, nicht werde aufnehmen können. Auch ist möglich, daß er anfangs nicht die Mittel hatte, allen seinen Phalangiten die kostbare volle Hoplitenrüstung anzuschaffen. In der gedrängten Aufstellung, die es zu dem eigentlichen Einzelkampf weniger kommen ließ, konnten die hinteren Glieder der vollen Schutzrüstung zur Not entbehren. Das ist jedoch nur eine Vermutung, die dahingestellt bleiben mag. Wesentlich ist, daß die macedonische Phalanx als solche nicht als die Erfindung einer neuen, höheren Kampfesform aufzufassen ist, sondern als eine Reduktion der bisherigen Leistung der Infanterie. Die neue Phalanx war schwerfälliger als die alte, geriet leichter in Unordnung, war noch empfindlicher in den Flanken; für den Einzelkampf, den der Krieger auch bei den vielfachen Aufgaben außerhalb der Schlacht bestehen können soll, ist der Sarissenträger sehr ungeschickt. Die alte dorische Hopliten-Phalanx, die die Geschlossenheit eines taktischen Körpers mit der Kampftüchtigkeit jedes Einzelnen verbindet, ist für sich betrachtet die höhere taktische Form. Sehr wesentlich war jedoch der Unterschied zu Philipps und Alexanders Zeit noch nicht. In allen Schlachten dieser Epoche, von denen wir Erzählungen haben, bewegt sich die Phalanx mit solcher Leichtigkeit und ist von einem Unterschied gegen die alte Hopliten-Phalanx so wenig zu bemerken, daß wir davon nahezu absehen könnten, wenn nicht einige Nachrichten doch mit Bestimmtheit[172] darauf hinwiesen, daß die Abwandlung, die später sehr bedeutend wurde, nämlich der längere Spieß und die engere Stellung, schon zu Philipps Zeit wenigstens eingesetzt hat.

Ein Elite-Korps, die Hypaspisten, war ganz nach Art der alten Hopliten bewaffnet, vielleicht etwas leichter, in der Gewißheit, die leichtere Schutzwaffe im Nahkampf durch erhöhte Gewandtheit zu ersetzen. Die Hypaspisten bilden in der Schlacht das Verbindungsglied zwischen dem Offensivflügel der Kavallerie und der großen Masse der Sarissen-Phalanx, die sich langsamer heranbewegt.

Auch an leichtem Fußvolk, Peltasten, Bogenschützen und Schleuderern92 war das macedonische Heer stark.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 170-173.
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