Kritisches zur Schlacht bei Magnesia.

Strategie des Königs Antiochus.

[427] KROMAYER (Antike Schlachtfelder Bd. II) hat es versucht, die Schlacht rationell zu analysieren. Er gibt den Syrern 60000 Mann z. F. und 12000 Reiter, den Römern 27600 z. F. und 2800 Reiter. Meine Frage, weshalb die Syrer bei solcher Überlegenheit nicht umgangen haben, beantwortet er dahin, daß die Umklammerung auf beiden Flanken beabsichtigt gewesen, auf der einen auch wirlich vollzogen, auf der anderen durch einen kühnen Offensivstoß der Römer zerrissen und vereitelt worden und dadurch die Schlacht zugunsten der Römer entschieden worden sei. Dies Schlachtbild richtet sich selbst; es ist nicht bloß unglaubwürdig, sondern absurd. Wenn es möglich wäre, eine mehr als vierfach überlegene, keineswegs minderwertige Kavallerie durch ein so einfaches Mittel zu überwältigen, wäre die Kriegskunst keine Kunst mehr, sondern ein Spiel.

Die Einreihung der Elefanten, denen Kromayer Schützen zugesellt, in die Phalanx erklärt er dahin, daß die Phalanx sich habe rein defensiv verhalten sollen und durch die Elefanten und Leichten in den Intervallen die feindlichen Schützen hätten von ihr ferngehalten werden sollen. Das sind taktisch in jeder Beziehung unmögliche Vorstellungen. Defensive Haltung des einen Teils verhindert doch nicht den Angriff des anderen; eine Phalanx aber mit eingesetzten Elefanten und Leichten hätte ihren Charakter völlig eingebüßt und wäre gegen einen Angriff der Legionen ohnmächtig gewesen, die die Elefanten und Leichten nur an einer einzigen Stelle aus den Intervallen herauszulocken oder herauszutreiben brauchten, um von da aus die Phalanx nach beiden Seiten aufzurollen; ohne Zweifel wären die Römer aber sogar in viele Intervalle zugleich eingedrungen.

Kromayer beruft sich darauf, daß die Berichte des Livius und Appian beide auf Polybius zurückgingen. Das ist immer noch nicht identisch mit dem Bericht des Polybius selbst – wir haben eben erst gesehen, was für Irrtümer bei Livius möglich sind, und es mögen überdies auch Elemente aus anderen Quellen eingemischt sein. Sollte wirklich aus schließlich Polybius zugrunde liegen, so müßte man sagen, daß der Meister hier so unaufmerksam in der Kritik gewesen ist, wie auch sonst nicht selten. Auch Kromayer in seiner Darstellung der Schlacht von Magnesia schaltet doch einige der Abenteuerlichkeiten des livianisch-appianischen Berichtes, die ebenfalls Polybius zur Last fallen würden, aus. Die Vermutung, Polybius habe einer unzuverlässigen Quelle zu viel Vertrauen geschenkt und ihr Unsinniges[427] nacherzählt, darf daher keineswegs von vornherein als unzulässig abgelehnt werden. Anders steht es mit den militärisch- politischen Räsonnements, die dem eigenen Nachdenken des Historikers entspringen; hier ist die Kraft seines Geistes auf ihrer Höhe, und es müssen ganz überaus starke Argumente vorgebracht werden, wenn man es wagen will, seinem Urteil zu widersprechen. Das ist meiner Ansicht nach der methodologische Grundsatz, den man bei der Benutzung des Polybius zu verfolgen hat. Wie Kromayer eigentlich über Polybius denkt, ist schwer zu sagen. Zuweilen behandelt er Polybius' tatsächliche Angaben wie ein orthodoxer Interpret die Aussagen der Bibel, sucht offenbar Unrichtiges durch die bizarrsten Konstruktionen zu retten und weist Zweifler mit harten Worten wie Religionsschänder zurück (wir werden sofort noch einen dieser Fälle zu behandeln haben); an andern Stellen verwirft er die positivsten Angaben, und über die militärischen und politischen Urteile des Polybius setzt er sich ohne jedes Bedenken hinweg. Wir haben schon Beispiele davon gehabt, und seine Darstellung im zweiten Bande der »Antiken Schlachtfelder« ist vielfach hierauf aufgebaut, besonders die Kriege gegen Antiochus und Perseus. In der strategischen Analyse dieser Kriege findet sich im einzelnen manche gute und einleuchtende Betrachtung, aber auch abgesehen davon, daß die schon gerügte Unklarheit über den Begriff der Ermattungsstrategie über dem ganzen liegt, ist es mir wenigstens unmöglich, über das Bedenken hinwegzukommen, daß das Urteil des Polybius nicht nur beiseite gesetzt, sondern mehrfach geradezu auf den Kopf gestellt wird. Ist Polybius in der Beurteilung dieser Kriege, die er so genau kannte, von so einseitigem Urteil, wie Kromayer es darstellt, so ist die Autorität, für die wir ihn bisher gehalten haben und trotz mancher tatsächlicher Irrtümer in Einzelheiten halten durften, in ihren Fundamenten erschüttert. Ein strikter Beweis im einzelnen ist vielfältig nicht zu führen weder dafür noch dagegen, z.B. ob Perseus, als er die Nachricht von der Umgehung seiner Stellung bei Dion im Jahre 169 erhielt, mit Recht oder aus bloßem Mangel an wahrer Feldherrnschaft den Rückzug angetreten und auch Tempe geräumt hat. Wer sich durch Kromayers sachkritische Erwägungen überzeugt fühlt, muß sich darüber klar sein, daß damit die Autorität Polybius', an die man bisher geglaubt hat, aufgegeben ist.

Grundfalsch ist jedenfalls Kromayers Idee, die er auf dem sog. Historikertag in Dresden vorgetragen und in einem Aufsatz »Hannibal und Antiochus der Große« (N. Jahrb. f. d. kl. Altert. Bd. 19 (1907) S. 681) entwickelt, daß der Gegensatz zwischen der von Hannibal vorgeschlagen und der von Antiochus befolgten Strategie den Gegensatz zwischen karthagischer und seleucidischer Politik darstelle, Antiochus also, wenn er Hannibal gefolgt wäre, sich einem fremden Interesse dienstbar gemacht hätte. Der Gegensatz ist vielmehr derselbe, der die Politik Europas von 1805 an und noch im Winter 1813/14 das Hauptquartier der Verbündeten beherrschte; wo es bekanntlich auch eine Partei gab, die es für durchaus[428] überflüssig hielt, Napoleon vollständig niederzuwerfen, und ganz ähnlich räsonnierte, wie jetzt Kromayer im Sinne des Königs Antiochus, es genüge, wenn man dem Feinde gewisse Gebiete und Landschaften entreiße. Heute bestreitet niemand mehr, daß Kaiser Alexander, wenn er mit den Stein und Gneisenau auf den Übergang über den Rhein und den Marsch auf Paris drang, nicht bloß sein russisches, sondern das allgemeine Freiheitsinteresse verrat. Ganz ebenso vertrag Hannibal, wenn er eine allgemeine Koalition gegen Rom und entsprechende Kriegführung betrieb, nicht karthagische Politik, sondern er vertrat die allgemeine Völkerfreiheit, d.h. ein Gleichgewicht unter den Mittelmeerstaaten und damit auch die Zukunft des syrischen Großstaates und seiner Dynastie. Die Niederlage Karthagos 202 und Macedoniens 197 brauchte noch so wenig die römische Weltherrschaft zu bedeuten, wie Jena und Wagram die französische. Erst dadurch, daß niemals die Schwächeren alle zusammen sich gegen den Überstarken vorhanden, ist der antike Universalstaat zum Siege gelangt. Man braucht vielleicht den König Antiochus nicht zu hart zu verurteilen, daß er die Aufgabe nicht gleich bei seinem ersten Zusammenstoß mit den Römern begriffen: auch dem Zaren ist erst in dem Brande von Moskau das wahre Licht darüber aufgegangen. In Hannibals Arbeiten am syrischen Hof einen Ausfluß spezifisch karthagischer Politik zu erblicken, ist aber etwa so berechtigt wie die Anklagen, mit denen die Stein, Scharnhorst und Gneisenau im Jahre 1812 bei ihren Werbungen unter den europäischen Mächten von den Klugen und Kleingläubigen verfolgt wurden, sie seien die Agenten eines Partikularinteresses.

Da Kromayers Arbeit ganz auf allgemeine Raisonnements aufgebaut ist, so kann man bei ihm ohne weiteres statt des Namens Rom Napoleon, statt Antiochus Alexander, statt Hannibal Stein, statt Macedonien und Karthago Preußen und Österreich einsetzen, und dann dürfte über das Niveau dieser Betrachtungsweise auch bald jeder Zweifel gehoben sein. Jeder Historiker hat die köstliche Ironie im Gedächtnis, mit der Theodor v. Bernhardi die politisch-strategische Weisheit des Feldmarschallleutnants Duka vorführt – vielleicht nimmt Kromayer sich auch noch einmal des seligen Duka an und verteidigt auf dem nächsten »Historiker- Tag« (der schon viel dergleichen mit Ergebung angehört hat) diesen Wackeren gegen die Bosheit Bernhardis wie jetzt König Antiochus den Großen gegen den Zorn Mommsens. Ich will aber nicht unterlassen, dieser Kritik jetzt hinzuzufügen, daß Kromayer in der Schrift »Roms Kampf um die Weltherrschaft« die politischen Verhältnisse dieser Epoche ganz vortrefflich dargelegt hat.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 427-429.
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