Der Keil.

[43] Schon in der »Handbibliothek f. Offiziere«, »Gesch. d. Kriegswesens«, Bd. I, 97, 1828, ist wohl die dreieckige Aufstellung und der Hohlkeil zum Umfassen beschrieben, aber hinzugefügt.

»Diese keilartigen Formationen waren wohl mehr taktische Erfindungen und Spielwerk für die Übungsplätze, als für die Praxis im Krieg, für welche es keine Beispiele gibt.«

»Im allgemeinen verstanden die Griechen unter Keil jede Angriffsmasse von mehr Tiefe als Fronte. Hierunter sind auch die Angriffs-Kolonnen des Epaminondas begriffen.«

PEUCKER hingegen glaubt wieder an die Dreiecks-Form des germanischen Keils und rühmt ihr nach (Das deutsche Kriegswesen der Urzeiten, II, 237), daß »Frontveränderungen mit ihr leichter auszuführen waren«. Die Autorität der griechischen taktischen Schriftsteller, auf die er sich dabei beruft, können wir auf sich beruhen lassen, da sie nur von der Reiterei sprechen, ebenso wie das Muster des Fluges der Kraniche. Das angeblich leichtere Schwenken ist wie die ganze Aufstellung eine doktrinäre Konstruktion.[43]

II, 245 glaubt Peucker ganz umgekehrt, daß »die keilförmige Angriffskolonne ohne Gefährdung ihres inneren Zusammenhanges sich nur in festem, offenem und ebenem Terrain bewegen konnte«.

Über die nordischen Berichte handeln ausführlich die beiden Untersuchungen von G. NECKEL, »Hamalt Fylkin« in Braunes Beiträgen z. Geschl. d. deutschen Sprache, Bd. 40, S. 473 (1915) und »Hamalt Fylkin und Svinfylkin« im Arkiv för Nordisk Filologie Bd. 34 N. F. XXX.

Neckel versteht unter Hamalt den Gebierthaufen, als dessen besonderes Merkmal er die dichte Schildreihe ansieht. Der Hamalt wird zum Swinfylking, wenn ihm in der Front ein Dreieck mit der Spitze gegen den Feind angesetzt wird. Da wir uns überzeugt haben, daß dieser Spitze eine taktische Bedeutung nicht zukommt, so kann ich mir nicht wohl denken, daß die poetischen Quellen eine so scharfe begriffliche Unterscheidung festhalten: ob beim Anmarsch um der leichteren Führungen willen im ersten Gliede nur einer oder einige Krieger stehen, und die nächstfolgenden erst im Augenblick des Zusammenstoßes an ihre Seite springen, oder ob die Glieder von vorn herein gleichmäßig stark sind. Selbst wenn der Führer eigentlich beabsichtigt, mit der Dreiecksspitze anzurücken und anzustürmen, so ist das doch in der Praxis kaum einzuhalten, da die überragenden Krieger des zweiten, dritten, vierten Gliedes sich schwerlich künstlich immer um einen Gliederabstand hinter den Kriegern des ersten Gliedes zurückhalten werden. Die Glieder-Abstände sind so klein, daß sie selbst bei friedlichem Exerzieren auf einem ebenen Platze nicht leicht einzuhalten sind, ganz und gar nicht aber bei dem wilden Ansturm zur Schlacht, wo jeder das Äußerste aufbietet, um es den Nebenmännern wenigstens gleich zu tun, vielleicht noch ihnen voran zu kommen.

Sowohl Agathias wie die nordischen Poesien bis zu Saxo Grammaticus, der aus ihnen schöpft, schätze ich als Quellen-Zeugnisse viel geringer ein als Neckel. Auch aus Homer habe ich mich wohl gehütet, wie es ehedem geschehen ist, taktische Formen ablesen zu wollen und Agathias kann gegen die Aussage in der Taktik des Mauritius (oben S. 34) nicht aufkommen.

Vgl. im übrigen hierzu Bd. III.

Einigermaßen in Widerspruch mit meiner Schilderung steht die Erzählung Tacitus' (Ann. II, 45) von der Schlacht Armin und Marbod »deriguntur acies, pari utrimque spe, nec ut olim apud Germanos, vagis incursibus aut disjectas per catervas: quippe longa adversum nos militia insueverant sequi signa, subsidiis firmari, dicta imperatorum accipere«. Diese Worte ließen sich so auslegen, daß die Germanen früher überhaupt keine taktische Ordnung gehabt, sie von den Römern aber gelernt und ihre Art nachgeahmt hätten, indem sie eine Schlachtreihe aufstellten und sie durch Reserven, also ein zweites oder mehrere Treffen gliederten und sicherten.[44]

Wir werden aber mit dieser Schilderung die rhetorische Akzentuierung zu berücksichtigen und in Abzug zu bringen haben; die »alte Sitte« der Germanen, »vagis incursibus aut disjectas per catervas«, von der Tacitus spricht, wird daher nichts anderes sein, als der Angriff in Gebierthaufen, in Keilen, die von Schützen begleitet sind und sich auch leicht völlig auflösen. Die »acies subsidiis firmata« aber können wir in der Tat als eine Nachahmung der römischen Formen akzeptieren. Seit Cäsar waren zahllose Germanen, Fürsten wie Gemeinfreie, im römischen Dienst und hatten das römische Wesen von Grund aus kennen gelernt. Es ist durchaus möglich, daß Armin wie Marbod es für vorteilhaft gehalten haben, die römische Schlachtordnung anzunehmen. Sie brauchten zu dem Zweck nur zu befehlen, daß die einzelnen Geschlechter, statt sich zu großen Gevierthaufen zusammenzustellen, nebeneinander aufmarschierten. Ein Geschlecht, eine Hundertschaft, war ja ungefähr dasselbe, wie eine römische Centurie oder ein Manipel. Auch mehrere Treffen oder eine Reserve konnten auf diese Weise gebildet werden. Es ist kein Widerspruch, daß die Mittelmeervölker viele Jahrhunderte gebraucht haben, bis sie zu einer so feinen Gliederung gelangten und daß die barbarischen Germanen sie ohne weiteres kopieren konnten. Aus sich selbst hätten die Germanen das nicht gekonnt; dazu war die Kraft der Beharrung in der Menge, der Glaube an die überlieferte Form zu stark. Keine persönliche Autorität wäre groß genug gewesen, das Mißtrauen der Menge gegen eine solche Neuerung, namentlich gegen Treffenbildung oder Reserve, zu überwinden. Da nun aber jedermann aus eigener Anschauung oder durch Erzählung der Kameraden wußte, welchen Erfolg die Römer mit diesen Ordnungen erreichten, so konnte der Feldherr, der im Kriegsrat der Hunni einen solchen Vorschlag machte, leicht Beifall finden, und die mechanische Durchführung seiner Anordnungen konnte den Hunni, die ihre Schar ja gut in der Hand hatten, nicht sehr schwer fallen.

So etwa ließe sich das Fechten der Germanen nach römischer Art erklären. Ich möchte aber doch hinzufügen, daß mir die quellenmäßige Grundlage schließlich sehr fragwürdig erscheint. Daß die Römer wirklich einen zuverlässigen Bericht über die Germanenschlacht gehabt haben, ist doch wohl sehr zweifelhaft, und es ist keineswegs ausgeschlossen, daß wir nichts als eine römische Phantasie vor uns haben. Auf jeden Fall würde es sich nur um eine episodische Erzählung handeln. In den Bataver-Schlachten treten selbst die Germanen, die in römischem Dienst gestanden haben, in ihrer heimischen Kampfesform auf, und in der Völkerwanderung finden wir immer von neuem den germanischen Gevierthaufen oder Keil in den Berichten. Agathias meldet, freilich in grotesk verzerrter Gestalt, von der Keilstellung des fränkisch-allemannischen Heeres unter Bucelin und Leuthar in der Schlacht von Casilinus (vgl. unten Buch III, Kap. 4), und von Kaiser Mauricius haben wir schon gehört, daß er den Gevierthaufen als die spezifische Gefechtsform der Germanen nennt.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 43-45.
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