Die Marsch- und Gefechtstage


4. Die Marsch- und Gefechtstage.

[81] Es ist unter den Forschern streitig, ob die Teutoburger Schlacht schon an dem Tage des Ausmarsches der Römer aus ihrem Sommerlager oder erst später stattgefunden, und ferner, ob die Schlacht selbst zwei oder drei Tage gedauert habe.

Nach Dios Erzählung hat man den Eindruck, wenn es auch nicht direkt gesagt ist, daß Varus einige Tage friedlich marschiert sei, ehe der erste Angriff der Germanen erfolgte, und hierauf hat sich, so weit mit Recht, Knoke berufen. Wenn aber Tacitus (I, 58) den Segest sprechen läßt von seiner vergeblichen Warnung an Varus »nox mihi utinam potius novissima«, so spricht das dafür, daß die Katastrophe sofort am andern Tage erfolgte. Noch mehr die Notiz bei Vellejus (II, 118), daß nach der Anzeige des Segest für eine zweite kein Raum mehr geblieben sei (nec diutius post primum indicem secundo relictus locus). Hierauf hat Wilms aufmerksam gemacht. So sehr namentlich das Zeugnis des Vellejus[81] als des Zeitgenossen ins Gewicht fällt, so ist nach den von uns aufgestellten quellenkritischen Grundsätzen doch auf alle solche mittelbaren Erschließungen sehr wenig Gewicht zu legen. Aber jedenfalls steht der Quellenbestand nicht im Wege, daß wir die Germanen gleich am Tage des Ausmarsches aus dem Sommerlager ihren Überfall machen lassen.

Ganz ähnlich steht es mit der Frage, ob die Gefechte zwei oder drei Tage gedauert haben. Die Quellen lassen zur Not beide Auslegungen zu; die größte Wahrscheinlichkeit ist jedoch für die oben von uns angenommenen drei Tage.

Bei Dio ist an der entscheidenden Stelle der Text korrumpiert. Er lautet handschriftlich, nachdem der Kampf des zweiten Tages geschildert ist, »τότε γὰρ ἡμέρα πορευομένοις αὐτοῖς ἐγένετο«. Das gibt keinen Sinn. Die einfachste und natürlichste Verbesserung wäre »τρίτη τ᾽ ἄρ ἡμέρα«.

Man kann jedoch denjenigen, die aus sachlichen Gründen sich für zwei Tage entscheiden, nicht verwehren, andere Konjekturen zu machen. Zurückzuweisen ist jedoch jede, die den Römern einen Nachtmarsch zumutet. Ein so großes Heer wie das Varianische kann sich nicht sozusagen fortschleichen. Die Germanen waren nicht wie die Perser des Tissaphernes, die gegen Abend von den Griechen losließen, um möglichst fern von ihnen ein sicheres Nachtquartier zu beziehen. Blieb der Feind aber in der Nähe, so war auch der Marsch nicht möglich, ohne daß es zum Gefecht kam, und ein Nachtgefecht wäre unter den obwaltenden Umständen, bei moralisch bereits erschütterten Truppen, das denkbar Ungünstigste gewesen, hätte zu Panik und sofortigem, völligem Zusammenbruch führen müssen.

Tacitus sagt, als Germanicus durch den Teutoburger Wald zieht und die Spuren und Reste der Varianer aufsucht, »prima castra lato ambitu et dimensis principiis trium legionum manus ostentabant; dein semiruto vallo, humili fossa accisae jam reliquiae consedisse intellegebantur.« Man hat als die prima castra das Sommerlager auffassen wollen, und ganz unmöglich um der Antithese willen seine Leser getäuscht habe. Denn daß zwischen einem ständigen Sommerlager und einem Marschlager für eine Nacht ein großer Unterschied waltete, muß eine jedem Römer geläufige Anschauung gewesen sein.40 Tacitus hätte also mit dieser Gegenüberstellung auf seine Leser keinen Eindruck machen können. Hätte wirklich nur ein Marschtag existiert und Tacitus den Kontrast zwischen diesem und dem Standlager vor die Augen rufen wollen, so hätte er bei aller Rhetorik doch wohl Wahrhaftigkeit genug besessen, die Antithese dementsprechend, was ja gar nicht schwer war, zu wenden. Die Wahrscheinlichkeit spricht also dafür, daß mit prima castra das erste Marschlager bemeint ist, das natürlich, wie Knoke richtig bemerkt hat, obgleich der erste Tag schon ansehnliche Verluste brachte, doch noch nach dem reglementsmäßigen Schema für drei[82] Legionen abgesteckt worden war. Die Entscheidung aber gibt, sobald man sich erst über die Örtlichkeit klar geworden ist, die Entfernung. Von Rehme bis an die Dörenschlucht sind 5, von Minden dahin 6 Meilen; nicht nur kann ein Heer unter so schwierigen Verhältnissen, wie damals das römische, eine solche Strecke nicht an einem Tage machen, sondern die Hälfte davon ist das gerade Passende; ja, ich möchte es nicht für unmöglich erklären, daß bei der Menge der Wagen, dem sehr schwierigen Weg durch den Wald, über Hügel und Schluchten, und dem Regen, der den Lehmboden aufweichte, die Römer noch eine Etappe mehr gemacht, die Schlacht also am zweiten, dritten und vierten Marschtag geschlagen worden ist. Daß Tacitus nur von zwei Lagern spricht, steht dem natürlich nicht entgegen.

Oberstleutnant VON STAMFORD, Das Schlachtfeld im Teutob. Walde, S. 105 und S. 107 berichtet, daß er in der Nähe von Schöttmar bei Salzufeln an mehreren Stellen Wallreste gefunden habe.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 81-83.
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