Dio Cassius.

[87] Die Römer besaßen einige Bezirke in Deutschland, nicht beisammen, sondern wie sie gerade erobert worden waren, weshalb ihrer auch die Geschichte nicht erwähnt. Ihre Soldaten überwinterten[87] daselbst und legten Städte an, und die Barbaren fügten sich bereits nach römischer Sitte, kamen auf die Marktplätze und pflegten friedlichen Umgang mit ihnen. Sie konnten aber doch ihrer Väter Sitte, ihre Landesgebräuche, ihre ungebundene Lebensweise, ihre Waffenmacht nicht vergessen. Bis jetzt sollten sie sich nur allmählich und unter Anwendung großer Behutsamkeit derselben entwöhnen, fanden sich auch unmerklich in ihre neue Lebensweise und hatten die mit ihnen vorgehende Veränderung selbst nicht gefühlt. Als aber Quintilius Varus, nach seiner Statthalterschaft in Syrien, Germanien als Provinz erhielt, so stimmte er einen zu hohen Ton an, wollte alles zu rasch umformen, behandelte sie herrisch und erpreßte Tribut wie von Untertanen; und dies wollten sie sich nicht gefallen lassen. Die Häupter des Volkes strebten nach der früheren Herrschaft; die Menge fand die hergebrachte Verfassung besser, als fremde Zwingherrschaft. Weil sie aber am Rhein und im eigenen Lande die Streitkräfte der Römer zu stark fanden, so empörten sie sich vor erst nicht offen, nahmen vielmehr den Varus auf, als ob sie alle seine Forderungen erfüllen wollten und lockten ihn vom Rhein in das Land der Cherusker und an die Weser. Hier lebten sie mit ihm auf völlig friedlichem, freundlichem Fuße und ließen ihn glauben, daß sie selbst ohne Gewalt der Waffen seinen Befehlen demütigst nachkommen würden.

So geschah es, daß Varus nicht, wie er in Feindesland hätte tun sollen, seine Truppen zusammenhielt, und viele seiner Leute auf Ansuchen der Schwächeren bald zum Schutze gewisser Plätze, bald um Räuber aufzugreifen, bald um Zufuhr von Lebensmitteln zu decken, nach verschiedenen Seiten hinsandte. Die Häupter der Verschwörung, der Hinterlist und des Krieges, der sich nun entspann, waren unter anderen Arminius und Segimer, die immer um ihn waren und oft an seiner Tafel schmausten. Als er nun so ganz zuversichtlich wurde und sich zu nichts Argem versah, vielmehr allen, welche das, was vorging, argwöhnten und ihm zur Vorsicht rieten, nicht nur nichts glaubte, sondern sogar vorzeitige Ängstlichkeit Schuld gab und sie der Verleumdung zieh, so empörten sich verabredetermaßen zuerst einige entfernte Stämme, in der Absicht, den Varus, wenn er gegen diese, wie durch Freundesland, zöge, eher in die Falle zu locken, damit er nicht, wenn[88] alle zumal sich zum Kriege wider ihn erhüben, seine Vorsichtsmaßregeln träfe. Und so ging es denn auch: sie ließen ihn vorausziehen und geleiteten ihn eine Strecke, blieben dann aber zurück, unter dem Vorwande, daß sie ihre Truppen zusammenziehen und ihm schleunigste zu Hilfe kommen wollten. Nun fielen sie mit ihren schon bereitgehaltenen Streitkräften über die früher erbetenen Truppen her und machten sie nieder, worauf sie dann ihm selbst, der bereits in unwegsame Wälder eingedrungen war, zu Leibe gingen. Jetzt erschienen die vermeintlichen Untertanen plötzlich als Feinde und setzten dem Heer furchtbar zu. Denn die Berge waren voller Schluchten und Unebenheiten, und die Bäume dicht und hoch, so daß die Römer schon vor dem Anfalle der Feinde mit dem Fällen der Bäume, dem Wegbahnen und dem Schlagen von Brücken, wo es nötig ward, volle Arbeit hatten. Sie führten auch viele Wagen und Lasttiere, wie im Frieden, mit sich; auch Kinder, Weiber und sonstige Dienerschaft in Menge folgte ihnen, so daß schon deshalb der Zug sich ausdehnen mußte. Ein heftiger Regen und Sturmwind überfiel und trennte sie noch mehr, und der Boden, um die Wurzeln und Stämme der Bäume schlüpfrig geworden, machte ihre Tritte unsicher; die Wipfel der Bäume brachen ab und vermehrten durch ihren Sturz die Verwirrung. In dieser Not fielen die Barbaren aus den dichtesten Wäldern von allen Seiten über die Römer her, indem sie, der Wege kundig, sie umschwärmten und anfangs aus der Ferne sie beschossen, dann aber, als sich niemand zur Wehr setzte, und viele verwundet wurden, ihnen zu Leibe gingen. Da sie nämlich in keiner Ordnung, sondern mit Wagen und Unbewaffneten untermengt einherzogen, konnten sie nicht leicht ihre Glieder schließen und erlitten, den Angreifenden auch an Zahl nicht gewachsen, großen Verlust, ohne jenen etwas anhaben zu können.

Als sie einen, so weit es in dem Waldgebiet möglich war, tauglichen Platz fanden, schlugen sie ein Lager, verbrannten die meisten Wagen und anderes entbehrliche Geräte, oder ließen es zurück und zogen dann am anderen Tage in größerer Ordnung weiter und gelangten auch voran in eine lichte Gegend, doch geschah auch dies nicht ohne Verluste. Als die von da aufbrachen, gerieten sie in neue Waldungen und wehrten sich zwar gegen die Andringenden,[89] kamen aber dadurch in neues Unglück: denn wenn sie in der Enge sich zusammentaten, um in geschlossenen Gliedern, Reiter und Fußvolk, auszufallen, wurden sie durch sich selbst und die Bäume gehindert. Es war der dritte (vierte?) Tag, daß sie so daherzogen; ein heftiger Regen und starker Wind überfiel sie wieder und ließ sie weder weiter ziehen, noch auch sicheren Fuß fassen, ja setzte sie sogar außer Stand, von ihren Waffen Gebrauch zu machen: denn Pfeile, Wurffspieße und Schilde waren durchnäßt und nicht gut zu gebrauchen. Die Feinde dagegen, meist leicht bewaffnet, hatten, da sie ungehindert vordringen oder zurückweichen konnten, weniger davon zu leiden. Überdies waren sie auch an Zahl weit überlegen (denn auch die früher Bedenklichen hatten sich jetzt, wenigstens um Beute zu machen, gleichfalls eingefunden) und umringten nun die schwächeren Römer, welche in den vorangegangenen Kämpfen schon viele Leute verloren hatten, um so leichter und machten sie nieder, so daß Varus und die angesehensten Führer, aus Frucht, lebendig gefangen zu werden oder durch die Hand der verhaßtesten Feinde zu fallen (denn verwundet waren sie schon), den traurigen, aber durch die Not gebotenen Entschluß faßten, sich in ihre eigenen Schwerter zu stürzen.

Sobald dies verlautete, so setzte sich keiner, wenn er auch noch Kräfte hatte, weiter zur Wehr; die einen ahmten das Beispiel ihres Führers nach, die anderen warfen die Waffen weg und ließen sich von dem nächsten Besten niedermachen, denn an Flucht war, wenn man auch wollte, nicht zu denken. Es wurde nun, ohne weitere Gefahr, Mann und Roß niedergestoßen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 87-90.
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