Angelsachsen und Engländer


Angelsachsen und Engländer.

[166] Die Germanen auf der britischen Insel nannten sich, soweit wir zurückgehen können, »Engle« oder »Angelcyn« (cyn = Geschlecht, Stamm), nicht Angelsachsen oder Sachsen. Die Bezeichnung »Angelsachsen« ist wesentlich gelehrten Ursprungs; in den älteren Quellen sehr selten. In der Zeit der Eroberung sprechen die Zeitgenossen nicht von Sachsen und Normannen, sondern von Angeln und Franken, Angli und Franci.

FREEMAN nennt den Staat und das Volk von Anfang an »England« und »Engländer« und polemisiert gegen den Gebrauch des Wortes »Angelsachsen«, weil dies die Vorstellung erwecke, daß das »Englische« erst entstanden sei durch eine Mischung von Angelsächsischem und Normannischem. Es sei aber von Hengist und Horsa an dieselbe Nation, die nur gewisse fremde Elemente, Britten, Dänen, Normannen, in sich aufgenommen, aber nicht so stark dadurch affiziert worden sei, um nicht ununterbrochene Kontinuität in Anspruch zu nehmen.

Die richtige Auffassung ist die entgegengesetzte, daß nämlich das englische Volk in seinem eigentümlichen Charakter und mit seiner eigentümlichen Sprache erst entstanden ist durch die normannische Eroberung, die Überlagerung einer herrschenden, französisch sprechenden Schicht über das bisherige germanische Staatswesen, das freilich durch Reste unterworfener altbritischer Bevölkerung und den Einfluß der Kirche auch schon romanische Elemente in sich aufgenommen hatte. So klein die Zahl der französischen Normannen und Franzosen war, die durch den Eroberer und seine Nachfolger tatsächlich angesiedelt wurden, so waren sie doch eben die Herrschenden, die ihren Charakter, ihre Sitten, ihre Gesetze, ihren Geist zur Geltung brachten, ganz wie einst die wenigen Franken, die unter den Merowingern das innere Gallien einnahmen und mit der unterworfenen Bevölkerung zu[166] einer neuen Einheit verschmolzen. Mag in England von Altangelsächsischem dem Quantum nach etwas mehr fortleben, als in Frankreich von Gallisch-Romanischem, so ist der Prozeß dem Wesen nach darum doch derselbe, und diesem Verhältnis gibt man den besten Ausdruck, indem man sich dem Sprachgebrauch anschließt, die ältere Periode noch nicht englisch, sondern angelsächsisch zu nennen, obgleich der Ausdruck »angelsächsisch« weder sehr gut gebildet ist (da ja die Angeln ein Teil der Sachsen sind), noch aus den Urquellen zu begründen ist.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 166-167.
Lizenz: