Italienische Infanterie.

[381] Die Vorstellung, daß die italienischen Städte eine wirkliche Infanterie hervorgebracht und daß diese den Ausschlag gegen die staufischen Kaiser gegeben habe, ist systematisch verteidigt worden in der Dissertation von Julius REINHARD DIETRICH »Die Taktik in den Lombardenkriegen der Staufer« (Marburg, 1892). Diese Untersuchung beruht auf eingehendster Quellenanalyse und ist deshalb sehr wertvoll, obgleich der Grundgedanke und deshalb die Ergebnisse im einzelnen durchweg zu verwerfen sind. Es ist eigentlich eine Art Gegenschrift gegen meine »Perser- und Burgunderkriege«. Der Gegensatz existiert aber auch insofern wieder nicht, als er auf nichts als auf ein fundamentales Mißverständnis hinausläuft.

In den »Perser- und Burgunderkriegen« habe ich zum erstenmal den polarischen Gegensatz des taktischen Körpers und des Einzelkriegertums aufgestellt. Dietrich bestreitet diesen Gegensatz. »Denn« sagt er (S. 5), »die Einheit des Willens in einer Vielheit von Kriegern findet schon ihren Ausdruck, wenn zwei Krieger sich zur Abwehr eines zahlreichen oder überlegenen Feindes Rücken an Rücken, oder wenn mehrere sich so nahe zusammenstellen, daß ihre rechte Brust durch den Schild des[381] Nebenmannes gedeckt wird.« Das ist richtig, verwischt aber das Entscheidende. Es handelt sich ja nicht um einen absoluten, sondern um einen polarischen Gegensatz, d.h. ein Haufe von Rittern und eine Schwadron Kürassiere, sind sehr ähnlich und doch grundverschieden, indem in jenen ein sehr geringer Grad von Einheit, ein sehr hoher von Einzelqualität – in dieser ein sehr hoher Grad von Einheit, ein viel geringerer von Einzelqualität vorhanden ist. Ein Haufe von Rittern, der gar keine Einheit, keinerlei Führung hätte, ist ebensowenig denkbar wie eine Kürassier-Schwadron, in der gar keine persönliche Tapferkeit und Waffengewandtheit wäre. Aber unzweifelhaft wiegt in dem einen das eine, in dem andern das andere Moment außerordentlich vor. Eine Kürassier-Schwadron ist keineswegs, wie es bei Dieterich erscheint, die bloße Fortentwickelung eines Ritterhaufens, sondern etwas wesentlich Verschiedenes, insofern gewisse Eigenschaften gewonnen werden, andere aber dafür verloren gehen. Dieterich polemisiert gegen mich, als ob ich den Ritterheeren allen und jeden organischen Zusammenhang, alle und jede Führungsfähigkeit und Führung abgesprochen hätte. Er weist nach, ganz mit Recht, daß auch in den mittelalterlichen Heeren eine gewisse Führung war, nennt daraufhin die Abteilungen und Haufen in diesen Heeren taktische Körper und hebt also den spezifischen Charakter und die Verschiedenheit der Heere dieser Epoche von denen des Altertums und der Neuzeit auf. Quellen- Stellen, die ungefähr so klingen, als ob es in mittelalterlichen Heeren ganz oder fast ganz so zugegangen wäre wie heute, gibt es natürlich in Menge, aber wer sich dadurch verführen läßt, die Unterschiede zu übersehen, verfehlt die Hauptsache. In der Schlacht bei Doryläum haben, nach Radulf, Tankred und sein Bruder Wilhelm, aus der Defensive herausgehend, durch eine Attacke die Türken von einem beherrschenden Hügel zu vertreiben gesucht; Boemund, der den Oberbefehl führte, habe das als Tollkühnheit getadelt und sie zurückhalten wollen, weil solche Einzelunternehmungen die Ordnung des Ganzen gefährdeten. Heermann S. 17 und nach ihm Dieterich S. 20 haben finden wollen, das »kennzeichne die Höhe der auch von den Vornehmsten und Tapfersten geforderten Selbstverleugnung« und machen einen Schluß auf Subordination und Disziplin. Ich möchte das Geschichtchen umgekehrt als einen Beleg für die von mir aufgestellte Thesis verwerten. Der Tadel Boemunds, daß Einzelangriffe auf eigene Hand die Ordnung des Ganzen gefährdeten, wird tausendmal ausgesprochen worden sein, aber das ist doch kein Beweis, daß eine Disziplin existierte, die dergleichen verhinderte. Ja, wenn die Geschichte von Boemund und Tankred nur weiter ginge, wie die römische Legende vom Konsul Manlius und seinem Sohn! Aber nein: Tankred kümmert sich nicht um den Befehl, sein Bruder Wilhelm fällt in dem Gefecht, und Boemund läßt es bei seinem theoretischen Tadel bewenden! Nichts kann uns deutlicher zeigen, wie fremd der wahre Begriff der Subordination und Disziplin den Ritterheeren war.[382]

Ganz ebenso steht es mit den weiteren Beweisen Dieterichs: »Wir können,« schreibt er S. 24, »aus dem harten Tadel, der unzeitige Angriffe, leichtsinnige Unternehmungen einzelner Führer und Abteilungen, ungeordnetes und zerstreutes Vorgehen, Insubordination und Eigenmächtigkeit trifft, auf eine straffe Kriegszucht schließen. Ich erinnere nur an Friedrichs Ausspruch über die Tollkühnheit des Grafen von Bubingon 1158 vor Mailand, an die gerügten übereilten Vorstöße der Genuesen 1148 auf Tortosa und 1221 auf Ventimiglia, den durch Uneinigkeit der Führer verschuldeten ordnungslosen Zusammenstoß der Pavesen und Mailänder 1155 vor Tortona, an das Gefecht von Lodi, 1195, an das kopflose Vorgehen der Piacesen gegen die Pavesen 1213, vor allem aber an die Schlachten von Castelleone, Cortenuova und Tagliacozzo.«

Alle diese Beweise von Insubordination sollen Beweise von Disziplin sein, weil sie getadelt wurden! Weiter.

»Dagegen rühmt der von den Mailändern aufgefangene und nach chevaleresker Behandlung entlassene miles explorator der Pavesen (1157) die Besonnenheit, mit der die Feinde es vermieden, das Lager zu verlassen und (wider den Willen der Oberen) anzugreifen. Im Jahre 1160 während der Belagerung Faras enthalten sich, mit wenigen Ausnahmen, die deutschen milites auf Befehl des Kaisers, ebenso 1161 vor Mailand während eines Gefechtes der Pavesen mit den Mailändern des Kampfes. Ein Wort Gregors von Montelongo, des Bundesfeldherrn, genügte, die kampflustigen Piacentiner von der Verfolgung des Enzio zurückzuhalten.«

Hier haben wir einmal glücklich einige Beispiele, daß Befehle von Vorgesetzten befolgt werden, und es wird auch wohl noch öfter geschehen sein, aber ich denke, gerade der Ton der Erzählung zeigt uns, wie unsicher es in dieser Subordination stand. Der Befehl des Kaisers oder des Feldherrn genügt, wird uns erzählt, daß die Ritter, freilich immerhin mit Ausnahmen, Folge leisteten – ja, was ist denn das für ein Begriff von Kommandogewalt und Disziplin, wo das Wort des Feldherrn nicht genügt, um Gehorsam zu finden?[383]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 381-384.
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