Die Schlacht bei Rosebeke.

27. November 1382.

[458] Ganz ähnlich wie einst die griechischen Bürger und Bauern die persische Ritterschaft, haben die Vlamen und Schotten durch meisterhafte Ausnutzung des Geländes die französische und englische Ritterschaft besiegt. Aber die Griechen sind bald weitergegangen und haben sich nicht mehr gescheut, mit den Persern im freien Felde zu schlagen: von Bannockburn haben wir bereits gehört, daß es nicht etwa der Ausgangspunkt für eine Überlegenheit der Schotten gewesen sei, und auf Courtray folgte nicht nur kein weiterer derartiger Sieg, sondern achtzig Jahre später erwies die Schlacht bei Rosebeke, daß, sobald den Bürgern der Vorteil des Geländes entzogen war, die Überlegenheit nach wie vor bei der Ritterschaft wohnte.

Der politische Ursprung und Charakter des Kampfes ist insofern anders als bei Courtray, als diesmal der Graf von Flandern nicht auf der Seite der Bürger, sondern des Königs steht. Gent unter Führung Philipps von Artevelde, hat sich gegen den Landesherrn, den Grafen Ludwig, erhoben, die anderen flandrischen Städte teils mit Güte, teils mit Gewalt auf seine Seite gebracht und den Grafen vertrieben, auf dessen Hilferuf der junge König Karl VI. von Frankreich herangezogen kommt, die Rebellen zu beugen. Herzog Philipp von Burgund, der Schwiegersohn des Grafen von Flandern und später sein Erbe, war der Vermittler dieses Bündnisses gewesen, während Philipp von Artevelde das Bündnis des Königs von England suchte. Diese politische Verschiedenheit zwischen den Verhältnissen von 1382 und 1302 macht sich auch in der Strategie geltend.

Artevelde belagerte die Stadt Oudenarde an der Schelde, 25 Kilometer aufwärts von Gent, die ein französischer Ritter für den Grafen zäh verteidigte. Erst nach sechs Monaten, Mitte November des Jahres 1382, war der König von Frankreich so weit, daß er ein Entsatzheer gesammelt hatte und es, von Arras aus, vorführen konnte.

Artevelde hatte, obgleich berichtet wird, daß er gewaltige Geschütze gehabt habe, Oudenarde doch nicht eigentlich belagert,[459] sondern gesucht, es auszuhungern, und hatte das Belagerungsheer durch Verschanzungen gegen einen Angriff von außen gedeckt.

Der französische Kriegsrat, der in Seclin zusammentrat (17. Nov.), (der Connetable Olivier Cliffon und drei Oheime des Königs) mußte sich also entscheiden, ob er an der Schelde entlang zum direkten Angriff auf Artevelde und seine Truppen vorgehen wollte, um Oudenarde zu entsetzen, oder ob er durch eine Diversion den Feind zum Aufgeben der Belagerung bestimmen, ihn aus seiner festen Stellung herauslocken und vielleicht anderswo zum Entscheidungskampf zwingen oder reizen könne. Wohl in Erinnerung an die böse Erfahrung von Courtray beschloß man, so groß auch schon die Not der Belagerten in Oudenarde war, von dem direkten Angriff abzusehen und statt dessen einen Einfall in das westliche Flandern zu machen. Hätte Artevelde sich unbedingt auf die flandrischen Städte verlassen können, so hätte er deshalb seine Stellung bei Oudenarde wohl noch nicht aufzugeben brauchen. Wenn die Städte ihre Tore schlossen, und die Franzosen bloß das platte Land an der Grenze verwüsteten, statt den rebellischen Bürgern auf den Leib zu gehen und ihre eingeschlossenen Landsleute zu befreien, so wäre das moralische Plus unzweifelhaft auf der Seite Arteveldes gewesen. Aber im Lager des Königs war ja auch der Graf, der rechtmäßige, angestammte Herr von Flandern. Alte Anhänglichkeit und Furcht vor dem großen französischen Heer, wohl auch Eifersucht auf Gent und Philipp von Artevelde selbst wirkten zusammen, um die Stimmung in den Städten sehr unsicher zu machen. Artevelde hat, wie es scheint, die Lys, die Flandern von dieser Seite deckte, verteidigen wollen, aber es gelang den Franzosen, bei Comines, aufwärts von Courtray, den Fluß zu überschreiten, und sofort ergaben sich Ypern und eine Reihe von weiteren Ortschaften dem königlichen Heer.

Wäre Artevelde jetzt noch bei Oudenarde stehen geblieben, so wäre das französische Heer auf Brügge vorgegangen, hätte diese Stadt, die in ihrer Gesinnung sehr geteilt war, genommen, und dann wäre Arteveldes Heer einfach auseinandergelaufen. Er hatte jetzt keine Wahl mehr, als sich entweder auf Gent zurückzuziehen, in der Hoffnung, sich dort zu halten, das übrige Flandern aber preiszugeben, oder sein Heer von Oudenarde dem französischen[460] Heer entgegenzuführen und den Gott der Schlacht anzurufen, und zwar galt es die einfache, offene Feldschlacht, wo man sich gerade traf. Denn wenn der vlämische Volksführer etwa gesucht


Die Schlacht bei Rosebeke

hätte, zwischen Ypern und Brügge irgendwo eine Stellung zu suchen, so fest wie sie die Vorfahren bei Courtray gehabt und wie er sie sich ohne Zweifel vor Oudenarde künstlich angelegt hatte, so gibt es erstens solche Stellungen nicht so leicht, und wenn der[461] Boden sie zufällig bieten sollte, so hinderte die Franzosen nichts, sie statt anzugreifen, zu umgehen, die Vlamen herauszumanövrieren und an einem besseren Fleck zu attackieren. Zu der Stellung, die einst Miltiades bei Marathon, die Vlamen bei Courtray genommen hatten, gehörte nicht bloß das Feldherrenauge, das die Position fand und wählte, sondern auch die ganze po litisch-strategische Kombination, die den Gegner zu dem Angriff auf eben diese Position trieb. Die Franzosen, die 1382 in Flandern eindrangen, hatten, nachdem sie einmal auf die direkte Entsetzung von Oudenarde verzichtet, die völlig freie Wahl, auf welchem Wege sie durch das offene Land ziehen wollten, und brauchten keine Stellung anzugreifen, die ihnen zu fest schien. Der Verteidiger hatte also nicht die Möglichkeit, an einer bestimmten, vorteilhaften Stelle Posto zu fassen und den Gegnern zuzurufen: greift mich hier an oder geht wieder nach Hause. Diesmal galt es vielmehr die einfache Feldschlacht, die nur geschlagen wird, wenn keiner von den beiden Parteien im Gelände einen gar zu starken Verbündeten hat. Die Bürger und Bauern, die bei Courtray mit Hilfe dieses Verbündeten gesiegt hatten, mußten jetzt, wenn sie sich nicht ohne Schlacht geschlagen geben wollten, zeigen, daß sie auch unter gleichen Verhältnissen es mit den Rittern aufzunehmen wagten.

Philipp von Artevelde, der Ruwart von Flandern, wie er sich nannte, war kühn genug, eine solche Entscheidung herauszufordern, und die Bürger wagten es, ihm in diese Schlacht zu folgen.

Die Flanderer bildeten mit ihren Spießen und Goedendags eine dichtgeschlossene Phalanx, die nun nicht, wie bei Courtray, den Angriff abwartete, sondern ihm entschlossen entgegenging. Es war, wie aus drücklich hervorgehoben werden muß, die einzige Möglichkeit, die Schlacht zu gewinnen. Hätte man ohne solche Flügelanlehnungen wie bei Courtray und auch ohne deckende Reiter auf den Flanken den französischen Angriff abgewartet, so wäre von vornherein alles verloren gewesen. Artevelde zeigte sich also als ein tüchtiger und wackerer Soldat, indem er aus seiner Situation die letzte Konsequenz zog und selber die Offensive nahm. Nachdem die beiden Heere schon in der Nacht vom 26. zum 27. November zwei Meilen nordwestlich von Ypern nicht mehr[462] weit von einander gelagert und sich am anderen Morgen gegenseitig rekognosziert, stießen sie in völlig aufmarschierter Schlachtordnung bei dem Dorfe West-Rosebeke aufeinander.

Der Connetable hatte sein gesamtes Fußvolk ins Zentrum genommen und, um ihm gegen den zu erwartenden Anprall der Vlamen mehr Festigkeit zu geben, die ins Zentrum postierten Ritter, mit Ausnahme des jungen Königs selber und seiner nächsten Begleiter sämtlich absitzen lassen.440 Dieses Zentrum aber sollte die Schlacht nur hinhalten. Den positiven Stoß sollten von beiden Flügeln her zugleich die Ritter ausführen, die zu Pferde geblieben waren.441

Mit dieser Ordnung konnte ihm der Sieg nicht fehlen. »Sie sind unser. Unsere Knechte könnten sie bekämpfen«, soll der Connetable zum König gesagt haben, als er von der Rekognoszierung zurückkam und meldete, daß die Schlacht bevorstehe.

Zunächst zwar gelang es dem Druck der Phalanx, die, nachdem die Geschütze abgefeuert waren, geschlossen eine Anhöhe herab vorging, die Franzosen ein Stück zurückzudrücken. »Wie ein Wald habe die herannahende Masse mit ihren Spießen und Stangen ausgesehen«, sagt Froissart, und habe sich wie ein Eber auf den Feind gestürzt. 11/2 Schritt seien die Franzosen gewichen, will auch der Mönch von St. Denys zugeben.

Aber völlig werfen und in die Flucht jagen ließen sich die Franzosen doch nicht, und damit hatten sie gewonnen, denn jetzt brachen von beiden Flügeln her die Berittenen in die vlämische Phalanx ein, und das brachte auch den Andrang in der Front[463] zum Stehen. Man fühlt sich an die Schlacht bie Cannä erinnert. Da die Vlamen nicht siegten, wurden sie in Masse niedergehauen. Manche sollen, als die Menge sich angestvoll zusammenballte, erdrückt worden sein, unter ihnen Philipp von Artevelde selber, dessen Leiche man nachher, angeblich ohne Wunde, unter den Erschlagenen auf dem Schlachtfelde herausfand.

Über die Heereszahlen, die auf beiden Seiten bei Rosebeke ins Gefecht geführt worden sind, fehlt es an zuverlässigen Angaben oder genügenden Unterlagen für Schätzungen.

Die Schlacht ist weniger positiv als negativ von der größten Wichtigkeit für die europäische Geschichte. Hätten die Vlamen bei Rosebeke gesiegt, so hätten die französischen Städte, die schon die größten Schwierigkeiten machten, ihrem König sofort den weiteren Gehorsam aufgesagt, und die Möglichkeit, daß Bürgerheere im offenen Felde Ritterheere besiegten, hätte, einmal dargetan, ähnliche Ereignisse gezeugt und damit der sozialen Entwickelung der germanisch-romanischen Völker eine ganz andere Richtung gegeben.


Die Quellen über Rosebeke sind unter wahren Schutthalden von Fabeln und Einstellungen vergraben und erst durch die Berliner Dissertation von FRIEDRICH MOHR (Verlag von Georg Nauck, 1906) zutage gefördert worden. Dieselbe Arbeit hat auch alle die phantastischen Konstruktionen, mit denen Neuere den Verlauf haben aufbauen wollen, abgetan.

Quellenkritisch besonders interessant ist der Bericht, den Froissart über den Kriegsrat in Seclin am 17. November gibt. Hier soll einer der Teilnehmer, der Herr von Coucy, vorgeschlagen haben, an der Schelde entlang, auf der man sich verpflegen könne, dem Feinde bei Oudenarde auf den Leib zu gehen. Der Connetable soll ihm entgegnet haben, man tue dem Feinde zuviel Ehre an, wenn man einen Umweg mache; als wackere Krieger müßten sie direkt auf ihn losgehen und deshalb in Westflandern einfallen.

In Wirklichkeit war es ja gerade der Vorschlag Coucys, der direkt gegen die feindliche Hauptmacht führte, und der Connetable, in besserer strategischer Einsicht, zog ihn durch die Diversion über Comines nach Westflandern erst aus seiner festen Stellung heraus.

Wir haben hier also einen Fall, wo der Erzähler, unsere Quelle, etwas ganz Richtiges gehört, aber selbst zu wenig im Bilde, nachher bei seiner Niederschrift die beiden Sprechenden und ihre Motive verwechselt hat. Ein Blick auf die Karte genügt, um das zu erkennen. General KÖHLER aber in seiner ausführlichen Behandlung der Schlacht, Kriegsw. d. Ritterzeit Bd. II, S. 574 ff. hat den Widersinn einfach nacherzählt.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 458-464.
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