Die Schlacht bei Novara


Die Schlacht bei Novara[89] 115.

(6. Juni 1513.)

So schnell die politische Konstellation die Franzosen trotz ihres Sieges von Ravenna aus Italien herausgedrückt hatte, so[89] schnell wechselte sie auch wieder und öffnete ihnen von neuem die Tür. Die Venezianer traten auf ihre Seite, und die Politik der Eidgenossen wurde unsicher. Ein französisches Heer, abermals mit einem starken Kontingent deutscher Landsknechte, erschien, nahm Mailand und belagerte den Herzog Maximilian Sforza mit seiner Schweizer Hilfstruppe in Novara. Als die Not in dieser Stadt unter der Wirkung des trefflichen französischen Geschützes schon recht hoch gestiegen war, erschien von Norden her ein schweizerisches Entsatzheer, und die Franzosen beschlossen, sich vor ihm ostwärts auf ihre venezianischen Bundesgenossen zurückzuziehen.

Da erst die Hälfte des schweizerischen Heeres nach überaus starken Märschen am Abend in Novara anlangte, und die Aufhebung der Belagerung, das Zurückführen der Geschütze und des sehr bedeutenden Trains, viel Mühe machte und Zeit in Anspruch nahm, so entfernte sich das französische Heer an diesem Tage nicht weiter als 4 Kilometer von Novara und schlug vor dem Städtchen Trecate in einer etwas sumpfigen, von Gräben durchschnittenen Gegend das Lager auf.

Den Führern der Eidgenossen entging diese Unvorsichtigkeit nicht. Nichts paßte besser zu ihrer Taktik als der Überfall: seit Morgarten wußten sie, welche Kraft der Strategie innewohnt, die den Feind zu überraschen versteht. Am Abend war man erst in Novara angekommen, noch in der Nacht hielten die Führer einen Kriegsrat und beschlossen, ohne nur die zweite Hälfte des Heeres abzuwarten, auf der Stelle zum Angriff zu schreiten. Bis gegen Mitternacht hörten die Franzosen die Schweizer in der Stadt lärmen und nahmen an, daß die Aufhebung der Belagerung mit Trinkgelagen gefeiert würde. Trivulzio, der neben Tremouille das Heer führte, soll gesagt haben: »Jetzt schlagen die Betrunkenen ihren Rausch aus, wir können uns also unbesorgt zur Ruhe legen«. Die Franzosen schleppten nach der Erfindung des Grafen de la Marck eine Art hölzerner Festung von aneinandergepaßten Pfosten und Planken mit sich, die die Bewegungen ihres Trosses nicht wenig erschwert haben müssen, übrigens auch deshalb nicht viel leisten konnte, weil sie so klein war, daß sie nur einen Teil des Heeres umschließen konnte. Aber diese Nacht fühlten die Franzosen sich so sicher, daß sie nicht einmal diese Festung aufgeschlagen hatten.[90]

Plötzlich tönte der Ruf durchs Lager, daß die Schweizer da seien und angriffen. Nur wenige Stunden hatte diese rüstigen Bergbewohner nach ihrem Gewaltmarsch und dem Zechgelage geruht, dann waren sie, noch ehe der Morgen graute, wieder zusammenberufen und wie die »hitzigen Bienen« zu den Toren hinaus und über die zerschossene Mauer hinweg ins Freie hinausgeströmt, »um ihre Feinde zu suchen und ihr Glück mit ihnen zu wagen«.

Wieder finden wir die alte Ordnung in drei Haufen, aber in wohl überlegter Weise den Verhältnissen angepaßt. Der Haufe, der von Norden her die rechte Flanke der Franzosen umgehen sollte, an Infanterie nur schwach, war von Herzog Maximilians mit seinen italienischen Rittern begleitet. Der mittlere Haufen, der auf die Front des Lagers losging, wo das französische Geschütz stand, war ebenfalls nur schwach; seine Aufgabe war, nicht unmittelbar zu stürmen, sondern zunächst nur, unterstützt von einigen Geschützen, zu beschäftigen und zu demonstrieren. Der Haupthaufe aber umging, durch ein kleines Gehölz gedeckt, das französische Lager von Süden, vermied dadurch das gefährliche Geschützfeuer und fiel mit seiner ganzen Wucht auf die eigentliche Kraft des französischen Heeres, den Haufen der deutschen Landsknechte116.

An Infanterie waren die beiden Heere etwa gleich stark, 10000 Mann. Die Franzosen hatten aber außer dem ihre starke Artillerie und nicht weniger als 1100 schwere und 500 leichte Reiter. Mag man auch den Schweizern, die noch nie eine Schlacht[91] verloren hatten – und solches Bewußtsein gibt eine ungeheure Kraft – eine gewisse qualitative Überlegenheit über die Landsknechte und die französische Infanterie zusprechen: auch diese, besonders die Landsknechte, hatten doch ihre kriegerische Erfahrung, ihr Selbstbewußtsein, ihre Tüchtigkeit, und man möchte es kaum für möglich halten, daß in rangierter Schlacht die schweizerische Tollkühnheit gegen das Übergewicht an Reitern und Geschützen aufgekommen wäre. Aber der Überfall glich alles aus. Zwar wurde die Überraschung nicht so groß wie etwa bei Murten und es brach keine Panik aus. Die Landsknechte scharten sich zu ihrem Gewalthaufen zusammen, die Ritter wappneten sich und stiegen zu Pferde und auch die andern Truppenteile traten an, aber es fand kein rationelles Zusammenwirken statt. Nur halbgerüstet hatte sich der französische Feldherr La Tremouille aufs Pferd geschwungen, um den Kampf zu leiten, von einer tatsächlichen Führung ist jedoch nichts zu bemerken. Die beiden kleinen Schweizerhaufen absorbierten einen relativ großen Teil des feindlichen Heeres, ohne daß die Franzosen doch etwa nach dieser Seite hin offensiv vorgegangen wären und nach errungenem Erfolg sich dem linken Flügel zugewandt hätten, wo bei den Landsknechten der Hauptkampf tobte. Im Besonderen ist es auffällig, wie wenig die sonst so tapfere französische Ritterschaft leistete. Es sind auch schließlich nicht mehr als 40 Gensdarmen geblieben und Guicciardini wirft ihnen gradezu Feigheit vor. Da das unglaublich erscheint, hat man den Grund in dem ungünstigen, weichen Gelände gesucht, und es mag dies auch etwas dazu beigetragen haben. Aber einen so ungünstigen Platz, daß die schweren Reiter überhaupt nicht verwendbar waren, können die Franzosen sich unmöglich zum Lagern ausgesucht haben. Die Kriegsgeschichte gibt uns eine andere Erklärung. Von den persischen Reitern bei Marathon und durch zahlreiche Schlachten des Mittelalters hindurch treffen wir immer von neuem auf die Erscheinung, daß Ritterschaft fast unführbar ist. Wird sie in einer rangierten Schlacht auf ein bestimmtes, vor Augen liegendes Ziel angesetzt, so leistet sie, was nur von ihr verlangt werden kann. Sobald aber Zwischenfälle irgend welcher Art eintreten, so fällt sie ab, weil der Einzelne, nicht gewohnt, sich mit den Anderen zusammenzuscharen und Befehlen[92] oder Signalen zu folgen, sondern darauf angewiesen, daß nach eigener Einsicht zu handeln, unmöglich dahin gelangen kann, einheitlich mit den Genossen an der richtigen Stelle, zum rechten Zweck, im rechten Augenblick zu handeln. Einige, von ihrem Mut getrieben, greifen hier an, andere da, andere wollen abwarten, bis noch mehr kommen oder die Lage sich klärt, noch andere sehen die Sache schon als verloren an und wollen sich nicht noch unnötig opfern. Es war den Landsknechten gelungen, noch einige Geschütze herumzudrehen und hinüberzuführen, so daß sie gegen die umgehenden Schweizer eine neue Front bildeten. Auch ihre Hafenbüchsen wirkten kräftig gegen die feindliche Masse. Wären noch einige hundert französische Gendarmen in dem Augenblick in die Flanke des eidgenössischen Gewalthaufens dirigiert worden, als er nahe daran war, mit den Landsknechten handgemein zu werden, so hätten diese sich sicherlich behauptet. Aber obgleich auch einige Ritter kühn auf den Haufen einsprengten, so hielten sie ihn doch so wenig auf, wie die Geschütze und Büchsen. In ihrem wilden Ansturm und schließlich unterstützt durch die anderen Haufen, nachdem die französischen Abteilungen im Zentrum und auf dem rechten Flügel kopflos das Feld geräumt hatten, wurden die Schweizer der Landsknechte Herr und vernichteten sie, da sie sie durch die Umgehung von ihrer natürlichen Rückzuglinie abgedrängt hatten und Pardon nicht gegeben wurde, so gut wie vollständig117. Die französische Infanterie hatte sich ebenso wie die Ritterschaft ohne sehr erhebliche Verluste gerettet. Ein Teil hatte den Rückzug östlich auf Trecate genommen, ein Teil war nach Norden ausgewichen und dann nördlich zum Novara herum nach den südwestlich von dieser Stadt gelegenen Bercelli gezogen, wo auch der nach Trecate marschierte Haufe mit der geretteten Kriegskasse, auf der Südseite um die Schweizer herummarschierend, zu ihnen stieß.

Das feindliche Lager mit allen Geschütz war die Beute der[93] Schweizer geworden. Aber obgleich die Schlacht nach den Briefen des Herzogs Maximilians nur ein bis zwei Stunden gedauert hatte, so war ihnen der Sieg doch teurer als früher zu stehen gekommen. Sie mögen wohl bis zu 1500 Toten gehabt haben. In dem Feuer der Geschütze wie der Hafenbüchsen und schließlich in dem verzweifelten Widerstand des geschlossenen Haufens der Landsknechte haben sich Mächte angemeldet, die in den alten Schweizer Schlachten noch nicht so zu spüren waren.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 89-94.
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