Die Schlacht bei Turin


Die Schlacht bei Turin[366] 414.

7. September 1706.

Die Franzosen belagern Turin und decken diese Belagerung durch ein Heer, das bis an die Etsch und den Garda-See vorgeschoben ist. Prinz Eugen sammelt ein etwas stärkeres Heer, umgeht die Franzosen, manövriert sie zurück und marschiert mit 34000 Mann südlich des Po in außerordentlich schnellen Märschen (260 Kilometer in 16 Tagen bei häufiger Fühlung mit dem Feinde) bis nach Turin. Der Herzog von Modena liefert ihm einige Verpflegung. Mit ihm zugleich kommen auch die Franzosen, die ihn an der Etsch abwehren sollten, unter dem Herzog von Orleans, und die beiderseitigen Heere sind jetzt ungefähr gleich stark, einige 40000 Mann. Die Franzosen fühlen sich also zu schwach, etwa dem Entsatzheer entgegenzugehen und es anzugreifen und gleichzeitig die[366] Belagerung von Turin fortzusetzen. Sie suchen sich gegen den Entsatz zu decken durch eine Feldbefestigung, eine Zirkumvallationslinie.

Das Entsatzheer, von Süden kommend, ging nun rings um das Entschließungsheer herum, bis es im Nordwesten an eine Stelle kam, wo die Zirkumvallation, erst im letzten Augenblick angefangen, noch nicht fertig geworden war. Hier, zwischen den beiden Nebenflüssen des Po, der Dora und Stura, wurde mit 30000 Mann der Angriff angesetzt. Die Verteidigung dieser Strecke war nur 12-13000 Mann stark. Nicht weniger als fünf oder sogar sechs Treffen tief415, drei Infanterie, drei Kavallerie, rückten die Verbündeten an und drangen schließlich durch, als sie herausfanden, daß die rechte Flanke der französischen Stellung durch das leichte Flußbett der Stura umgangen und im Rückgen gefaßt werden konnte. Die ganze Linie wurde nun aufgerollt; ein Ausfall der Besatzung von Turin stieß auch noch hinein und schnitt die Fliehenden ab.

Es waren die Truppen des Herzogs von Orleans, die geschlagen waren, aber auch die eigentlichen Belagerungstruppen unter La Feuillade wurden, als die Flüchtlinge bei ihnen ankamen, von der Panik ergriffen und zog, unter Verlust der meisten Geschütze, kampfunfähig ab nach Frankreich.

Hätte La Feuillade von seiner Belagerungsarmee den Herzog von Orleans nur noch mit 6000 Mann unterstützt, so daß er sich eine Reserve hätte bilden können, so hätte der österreichische Angriff schwerlich zum Ziel geführt. Aber La Feuillade glaubte nicht, daß der Feind sich wirklich zum Angriff auf die befestigte Linie entschließen würde, sondern nahm an, daß er nur manövrierte, um den Belagerern die Zufuhr abzuschneiden; des weiteren glaubte er den Fall der Festung, die sein persönlicher Ruhm sein sollte, ganz nahe und wollte die Belagerung an keinem Punkte schwächen. Der Marschall Marsin aber, der Berater des jungen Herzogs von Orleans, wagte gegen La Feuillade, der der Schwiegersohn des Kriegs- und Finanzministers Chamillart war, und ihm bei Hofe sehr hätte schaden können, nicht energisch aufzutreten. Die Franzosen haben[367] also die Schlacht verloren durch den Mangel an einer umsichtigen einheitlichen Führung, in noch höherem Maße als zwei Jahre vorher die Schlacht bei Höchstädt. Umgekehrt wirkten auf der anderen Seite die beiden Feldherren, Prinz Eugen und sein Vetter, der Herzog von Savoyen in ausgezeichneter Weise zusammen. Prinz Eugen, jeder Selbstsucht bar, verbot sogar, daß in der Siegesbotschaft auch nur sein Name genannt würde.

Die Theoretiker haben aus dieser Niederlage der Franzosen den Schluß gezogen, daß es prinzipiell falsch sei, eine Belagerung gegen den Entsatz durch eine Zirkumvallation decken zu wollen. Die genaue Untersuchung des Ereignisses lehrt, daß dieser Schluß unzulässig ist, denn die Zirkumvallation ist nicht direkt erstürmt, sondern umgangen worden. Alle Tapferkeit der Preußen unter Leopold von Dessau wäre ohne diese Umgehung vermutlich umsonst gewesen. Gut ausgeführt und geleitet hätte sich die Verteidigung der Zirkumvallation ebenso erfolgreich durchführen lassen, wie eist die von Alesia, und der Entschluß der beiden savoyischen Vettern, den Angriff mit völlig verkehrter Front auf die Befestigung zu wagen, ist zu bewerten als eine Tat von höchster strategischer Kühnheit, die das Schicksal wahrhaft herausforderte.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 366-368.
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